55 Wörter – Zweiter Teil
Vor einiger Zeit habe ich schon mal einen Beitrag mit drei 55 Wörter langen Geschichten geschrieben, im Stil der Fifty-Five Fiction, einem jährlichen Schreibwettbewerb der New Times in San Luis Obispo, Californien.
Mit maximal 55 Wörtern soll eine kurze Geschichte erzählt werden. Das auszuprobieren hat mir damals sehr viel Spaß gemacht. Die Mini-Geschichten sind nun eine meiner liebsten Schreibübungen geworden.
Mit den 55-Wörter Geschichten kann man üben, sich auf das Wichtigste zu beschränken und schnell Szenen, Charaktäre und Handlung einzuführen. Es ist das schriftstellerische Äquivalent zu einer Zeichenübung, in der man mit nur wenigen Strichen eine ganze Szenerie abbildet.
Hier drei weitere 55-Geschichten:
Die Glühwürmchen
Er folgte den Glühwürmchen in die Nacht. Wusste, dass sie ihn irreführen würden. Es war nicht schlimm. Denn dort würde er ihn endlich wiederfinden.
Das Licht verglühte, die Dunkelheit umschlang ihn. Es war in Ordnung. So hatte er es sich gewünscht. Er streckte seine Arme aus und umarmte den Tod. Seinen alten Freund.
Der See
Das Ende der Straße führt in den See.
Anna sieht sich zu mir um. „Was nun?“
„Wir müssen weiter“, flüstere ich.
Anna schüttelt den Kopf. „Niemals.“
Sie greift nach meiner Hand, aber ich gehe weiter. Sie hält mich fest. Finger für Finger löse ich mich. Ich bin an meinem Ende angelangt, Anna noch nicht.
Die Schlucht
Ein kleiner Stein löste sich unter meinem Schuh und fiel hinab in die Schlucht. Das leise Klackern hallte an den Felswänden empor. Ich schloss die Augen, Schweißperlen auf meiner Stirn.
Nicht nach unten blicken. Ich wollte hinauf.
Ich machte meinen nächsten Schritt. Der Fels unter meinen Füßen gab nach. Mein Schrei hallte durch die Schlucht.