Eine blaue Quietscheente

Eine blaue Quietscheente

27. März 2022 0 Von Valentina Baumgartner

Eine Kurzgeschichte inspiriert von der Schreibanregung von Katharina Mayer.

Ein kurzer Text aus 3 Elementen: Ein zu früh gefallenes Blatt, eine himmelblaue Quietscheente und eine rote Ampel.

Hat Spaß gemacht 🙂

Eine blaue Quietscheente

Hatte die Quietscheente ihm gerade zugezwinkert? Ruben lehnte sich vor, sah sich das Teil genauer an. Die Ente trug einen kecken Seemannshut, ein blaues Sakko und den Bart eines alten Seebären. Ihre toten Gummientenaugen starrten ihn leicht schielend an. Aber sie bewegten sich nicht.

Ruben blinzelte langsam, richtete sich wieder auf und schaute sich nach Xiomara um.

Er brauchte Schlaf. Seine Augenlieder waren so schwer, dass es ihm sinnlos vorkam, sie nach dem Blinzeln wieder zu heben. Wenn er wollte, er könnte hier auf der Stelle einschlafen, auch im Stehen. Seit nun mehr achtundvierzig Stunden scheuchte Xiomara ihn schon durch die Stadt. Sie schien nicht müde zu werden. Gerade eilte sie durch die Gänge des Souvenirladens, betrachtete jedes ausgestellte Objekt ganz genau, ihren ungefähr fünfzigsten Kaffee in der vor Coffein zitternden Hand.

Sie war eine professionelle Geisterjägerin. Und er war nur ein ganz normaler Typ der die 1000 Euro Kopfgeld brauchte.

„Siehst du was?“, rief sie zu ihm hinüber.

„Bis auf meine Halluzinationen wegen Schlafentzug nichts, nein.“

„Halluzinationen?“ Mit gerunzelter Stirn steuerte sie in seine Richtung.

Ruben deutete auf die Seemanns-Ente. „Die hat mir gerade zugezwinkert.“

Xiomara riss die Augen auf und beschleunigte ihren Schritt. Sie packte ihn und zog ihn zurück. „Diese Ente?“, vergewisserte sie sich.

Ruben nickte in Zeitlupe. Sein Gehirn schaltete erst jetzt. „Könnte es… Könnte sie es sein?“

„Bin mir nicht sicher…“ Xiomara nahm einen letzten kräftigen Schluck aus ihrem Kaffeebecher und öffnete den Deckel. Langsam ging sie auf die Quietscheente zu, den leeren Becher in der einen, den Deckel in der anderen Hand.

Ruben beobachtete sie mit schiefem Kopf. Vor zwei Tagen waren sie losgezogen, um den Rachegeist zu finden, der ihren Auftraggeber heimsuchte. Dreimal schon hatten sie sich ein verdächtiges Objekt angesehen, jedes Mal Fehlalarm.

„Wenn es gleich unschön wird, halte dich zurück. Du bist nicht für so was ausgebildet“, murmelte Xiomara und machte noch einen vorsichtigen Schritt vorwärts. Sie war nun in Reichweite der Gummiente. Sie ließ ihre Arme vorschnellen, stülpte den Kaffeebecher über das Souvenir und verschloss es mit dem Deckel. Xiomara drückte den Becher so fest zu, dass die Pappe etwas nachgab, starrte in gespannter Erwartung darauf.

Alles blieb still.

„Wieder Fehlalarm“, murmelte Ruben und kam zu ihr hinüber.

Xiomara ließ sie Schultern hängen. „Verdammt.“

Sie wollte den Becher gerade öffnen, um den Inhalt wieder herauszuholen, da begann er in ihren Händen zu ruckeln.

„Zurück!“, rief sie ihm zu.

Ruben erstarrte. Sein müder Körper konnte sich nicht ganz entscheiden, was zu tun war. Verarschte sie ihn gerade?

Die letzten Stunden hatte er sich oft gefragt, ob es eigentlich real war. Rachegeister, die Menschen drangsalierten, Geisterjäger, die diese übernatürlichen Wesen einfingen. Das Ganze hörte sich etwas Bescheuert an. Aber es gab 1000 Euro Kopfgeld. So viel verdiente er normalerweise nicht mal im halben Jahr.

„Verarscht du mich gerade?“, wiederholte er seine Frage laut an Xiomara.

„Bleib wo du bist!“ Sie wich einen Schritt zurück, schien Mühe zu haben den Becher in der Hand zu behalten. Dann hörte er das Kreischen. Gedämpft kam es eindeutig aus Xiomaras provisorischem Gefängnis für die Quietscheente.

„Scheiße“, fluchte sie und blickte sich um. Zwei Touristen in ihrer Nähe sahen verwirrt zu ihnen hinüber.

Xiomara setzte sich in Bewegung. Den Becher fest an sich gepresst, sprintete sie aus dem Geschäft. Dabei stieß sie einen voll befüllten Schirmständer um. Der Besitzer des Ladens rief ihr wütend hinterher.

Ruben blinzelte zwei Mal langsam. Schirme wurden heute bestimmt gut gekauft, es nieselte schon den ganzen Morgen. Er schüttelte den Kopf. Er sollte sich nicht ablenken lassen.

Hatte Xiomara gerade wirklich einen Geist gefangen?

Er rannte ebenfalls los, im Vorbeilaufen half er dem Ladenbesitzer, den Schirmständer wieder aufzurichten. „Entschuldigen Sie. Sie musste dringend los. Entschuldigung.“ Dann sprintete er weiter, nicht darauf achtend, dass ihm der Besitzer hinterherrief, „Ihr habt etwas gestohlen, oder? Ich habe Überwachungskameras!“

Auf der Straße blieb er schlitternd stehen. Wo war sie hin? Ruben suchte die nähere Umgebung ab. So weit konnte sie nicht gekommen sein. Er erhaschte einen Blick auf Xiomara, die immer noch mit dem Becher kämpfend an einer roten Fußgängerampel stand. Neben ihr einige Touristen auf dem Weg zur Hafenpromenade, die sie ansahen, als sei sie eine Verrückte.

Wahrscheinlich war sie das auch. Wieso hielt sie sich mit einem zornigen Rachegeist in der Hand an Verkehrsregeln? Es war weit und breit kein Auto zu sehen. Ruben lief zu ihr hinüber. Sie mussten zum Wasser.

„Komm, weiter!“, rief er und zog sie am Arm über die Straße, „Diese Ampel wird nie grün.“

Sie sprinteten nebeneinander unter den Buchen hindurch, die an der Promenade gepflanzt waren. Umrundeten eine Reisegruppe, die sich unter Regenschirmen gekuschelt eine dieser furchtbar langweiligen Stadtführungen gaben. Ruben hatte solche Touren auch schon geleitet.

Das schrille Kreischen kam immer noch aus dem Becher. Was dachten sich die Leute, wenn sie Xiomara und ihn sahen? Zwei Teenager mit tiefen Augenringen und einem kreischenden Kaffeebecher.

Sie sprangen über die Kette, die den Promenadenweg vom Wasser trennte und blieben unschlüssig am Ufer stehen. „He, ihr zwei, seid vorsichtig!“, rief ihnen der Tourguide hinterher.

Drogen. Das war die einzige mögliche Erklärung, die den Fremden einfallen würde.

„Ich komm nicht an das Wasser ran, der Pegel ist zu tief“, raunte Xiomara ihm zu.

Ruben nickte langsam. „Meinst du, sie rufen die Polizei, wenn wir springen?“

Sie sahen sich kurz an.

„Das wird kalt“, meinte Xiomara, „Ich springe, wenn du springst.“

Ruben nahm sie am Arm und zog sie weiter.

Sie tauchten unter und das Wasser schnürte ihm den Atem ab. Er öffnete die Augen, blickte sich um. Es war zu trüb, um wirklich viel zu sehen. Er konnte Xiomaras Umriss etwas entfernt ausmachen. Sie schien mit dem Kaffeebecher zu kämpfen, trat mit den Füßen Wasser. Er tauchte zu ihr hinüber. Xiomara versuchte den Becher zu öffnen, aber der Geist schien dagegenzuhalten. Zurecht wollte er das Salzwasser von sich fernhalten.

Ruben packte den Deckel des Kaffeebechers und bedeutete Xiomara, das Unterteil festzuhalten. Gemeinsam hebelten sie das Gefäß auf. Eine riesige Luftblase entwich, drückte sie im Wasser auseinander. Die blaue Quietscheente driftete leblos in der Mitte der Blase, drehte sich ein paar Mal um die eigene Axe und stieg dann auf Richtung Oberfläche.

Ruben streckte die Arme hoch und ließ sich ebenfalls nach oben treiben. Als er auftauchte, sah er sich nach Xiomara um. Eisiges Wasser strömte ihm aus seinen nassen Haaren über das Gesicht. Der kalte Wind machte es nicht besser.

Xiomara tauchte neben ihm auf, breit grinsend. „Geschafft!“, rief sie, streckte triumphierend einen Arm in die Luft. Ruben lachte laut und schlug mit den Handflächen auf das Wasser ein, brachte es zum Spritzen.

„Was macht ihr da, Kinder? Geht es euch gut?“, der Tourguide beugte sich über die Uferabsperrung.

„Uns geht es super!“, schrie Ruben ihm hinüber, seine Stimme überschlug sich. 1000 Euro.

„Alles wunderbar!“, rief auch Xiomara und schwamm zu der blauen Gummiente, die auf dem Wasser leicht hin und her wiegte.

Eine halbe Stunde später saßen sie zitternd in Wärmedecken gewickelt auf der Ladefläche eines Krankenwagens unter den Buchen der Uferpromenade, die blaue Matrosen-Ente zwischen ihnen.

„Weshalb seid ihr ins Wasser gesprungen?“, eine besorgte Polizistin beugte sich zu ihnen herunter.

„Um zu schwimmen.“

„Ihr dürft nicht einfach im Hafenbecken schwimmen. Außerdem ist das Wasser eisig.“

„Wussten wir nicht.“

„Habt ihr etwas genommen? Hat man euch irgendwas verabreicht?“

„Nein.“

Die Polizistin wandte sich mit gerunzelter Stirn ab, ging hinüber zu ihrem Kollegen.

Xiomara sah zu Ruben hinüber und Ruben zu ihr. Sie mussten lachen.

„Du bist ein guter Geisterjäger. Du solltest die Ausbildung machen.“

Ruben legte den Kopf schräg. „Wie viel verdienst du so im Monat?“, fragte er.

Xiomara gluckste und sah nach oben. Er folgte ihren Blick. Ein grünes Blatt löste sich von der Buche über ihnen und segelte langsam herunter. Sie verfolgten es beide, wie es schließlich vor ihren Füßen landete.

„Etwa zehntausend. Vor Steuern“, antwortete Xiomara.

Weitere Kurzgeschichten von Valentina lesen.