Linda, die alten Römer und ich

Linda, die alten Römer und ich

1. September 2019 1 Von Daniel Bühler
Geschrieben am 14. September 2017.

Linda liebte die alten Römer noch mehr als ich. Am ersten August schrieb sie mir, ich solle doch bitte im Gedenken an den Tod des wundervollen Marcus Antonius im Jahre 30 v. Chr. ein Trankopfer darbringen. Ich hätte seinen Todestag nicht gewusst, trank aber abends gern zwei Flaschen Bier auf ihn – obwohl die Römer für ihre Trankopfer natürlich Wein benutzten. Den sie dabei auch noch vollständig auf den Boden gossen – für die Götter.

I am dying, egypt, dying.

So fängt eines ihrer Lieblingsgedichte an. Natürlich heißt es Antony and Cleopatra und ist von William Haines Lytle (1858).

Als ich ihr im April zu ihrem 29. Geburtstag ein altrömisches Kochrezept schickte, präsentierte sie mir bald darauf die Fotos eines Käse-Honig-Gugelhupfs, den sie gebacken hatte. Nur die Fotos, denn er war so gut, dass nichts übriggeblieben war; aber beim nächsten Mal bekäme ich ganz bestimmt ein Stück.

Und obwohl es als Historiker mein Job ist, die antiken Quellen zu lesen, so fand ich viele davon doch anstrengend und langweilig. Linda hingegen fesselten sie mehr als ein guter historischer Roman, und zu ihrem Geburtstag im April wünschte sie sich Dinge, die, wie sie sagte, jeden Neuntklässler in Angst und Schrecken versetzen würden: lateinisch-deutsche Quellen – neun Bände!

Kürzlich diskutierten wir lange über römische Kampftaktik und später schrieb ich ihr, lies dazu mal Caesar, Bellum Gallicum, Buch Fünf, Paragraph 34.

„Geht nicht“, sagte sie.

„Wie, geht nicht?“

An der Stelle bin ich noch nicht.

Sie wollte den Caesar tatsächlich von vorne bis hinten durcharbeiten.

I am dying Egypt, dying.

Antonius kämpfte in den römischen Legionen. Als sich Linda letztes Jahr den schwarzen Gürtel im Karate erkämpfte, klaute ich ein Zitat des antiken Geschichtsschreibers Sueton und schrieb: Nehmt euch vor der schwarzgegürteten Linda in acht. So ähnlich hat man das auch von dem großen Gaius Julius Caesar gesagt.

Irgendwann rief sie mich ganz aufgeregt an; sie hatte im Internet eine Theorie entdeckt, dass Jesus Christus eigentlich Julius Caesar sei. Sie hat das nicht wirklich geglaubt, meinte aber:

„Hey, wenn das stimmt, dann wird aus mir ja doch noch ein guter Christ.“

„Wenn Julius Jesus ist“, antwortete ich, „dann ist Pompeius die Jungfrau Maria“.

Manchmal ist die Quellenlage aber auch so schlecht, dass wir beide nur sagen können, wir wissen bei gewissen Dingen nicht, wie es sich damals zugetragen hat.

Aber Linda weiß jetzt vielleicht, wie es im alten Rom wirklich war; und ich hoffe, sie ist glücklich und strahlt.

I am dying, Augusta Vindelicum, I am dying.

Linda starb am 5. September 2017, ein Dienstag.

Sie war an der Haunstetter Straße mit dem Fahrrad unterwegs und wurde dort von einem rechtsabbiegenden LKW überrollt.

Zu ihrem Geburtstag im April schrieb ich ihr:

Linda, ab jetzt wirst Du für immer 29 sein.

Und so ist es.

 

Foto von Linda

Linda
4.4.1988 – 5.9.2017