Von wilden Blutshunden
„Da sind sie! Da oben auf dem Hügel!“ Danach gellen Schreie durch den Wald, wie die einer Brüllaffenbande. Der, der geschrien hat, ist Matze und die Brüllaffenbande seine Kumpels. Und ’sie‘ das sind Hannah und ich, oben auf dem Hügel, in unserer Festung. Wir wussten, dass sie irgendwann kommen würden, aber dass sie uns so schnell finden, hätten wir nicht gedacht. Dabei ist das ganze doch eigentlich nur fair gewesen. Mit ‚Das‘ meine ich die Sache in der Schule. Die Sache, warum diese Brüllaffen überhaupt hierher kommen.
‚Das‘ war vorgestern.
Es klingelte wie immer um 10:15 Uhr zur großen Pause. Und wie immer packte ich meine Sachen und machte mich auf den Weg Richtung Schulhof. In der Klasse bleiben, durften wir ja nicht. Das habe ich noch nie verstanden, warum man in der Pause nicht in der Klasse bleiben durfte und stattdessen auf den Schulhof verbannt wurde, egal ob es dreißig Grad im Schatten sind oder 10 Grad Minus, ob die Sonne scheint oder es regnet wie aus Eimern. Der gemeine Schüler hat nach Ansicht der Lehrer an die frische Luft zu gehen. Also schnappte ich meine Tasche und ging los, hinaus aus dem Klassenzimmer auf den Flur. Auf dieselbe Idee kamen ungefähr hundert andere Schüler. Ich reihte mich ein und lief zwischen den anderen den Gang entlang und konnte schon das Tageslicht durch die große Tür sehen. Da spürte ich plötzlich einen Tritt genau in mein Kreuz. Ich stürzte nach vorne, rempelte noch einige Mädchen an, die mich nur giftig ansahen und ein stechender Schmerz fuhr mir bei Aufkommen auf den Boden durch das Knie. Meine Brille flog im hohen Bogen von meiner Nase, schlidderte ein paar Meter auf den roten Kacheln und wurde von Matzes Fuß gestoppt. Dann herrschte eine Stille, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Und ich lag da mit aufgeschlagenem Knie, umringt von Schülern, die entweder lachten oder mich einfach nur mitleidig ansahen. Hatte ich erwähnt, dass ich nicht gerade zu den beliebtesten Schülern der Schule gehörte? Matze hatte seine Arme vor seiner Brust verschränkt und grinste mich überlegen an. Der Rückentreter war Ole.
„Bist du etwa gestolpert? Musst schon aufpassen wo du hingehst.“ Er lief durch den Schülerkreis zu Matze herüber und hatte die Lacher auf seiner Seite.
Ich rappelte mich hoch und versuchte zu ignorieren, dass der Schmerz in meinem Knie sich anfühlte, als würde mir jemand einen Schraubendreher hineinstechen.
„Gib mir meine Brille wieder!“
„Meinst du die hier?“ Er guckte nach unten zu seinem Fuß.
„Ja genau.“
„Nö!“
Ich rannte auf Matze zu, aber Ole kam mir entgegen und schubste mich in entgegengesetzte Richtung zurück, so dass ich auf dem Po einige Meter schlidderte, genau wie meine Brille zuvor.
Hunderte Augen schossen nun zwischen mir, Ole und Matze hin und her. Ole blieb neben Matze stehen und verschränkte ebenfalls die Arme. Und ich saß da, wie ein Häufchen Elend.
„Gib Sie mir. Bitte!“
Matze grinste nur und trat mit dem Fuß auf die Brille. Sie knirschte und knarzte. Dann hob er sein Bein und trat volles Rohr auf die Brille ein. Um mich herum wurde es mucksmäuschenstill. Erst lachte Matze, dann Ole und plötzlich fingen alle anderen ebenfalls an zu lachen. Ich hätte am liebsten losgeheult. Warum waren eigentlich nie Lehrer da, wenn man sie brauchte? Die waren immer nur da, wenn irgendjemand mal heimlich auf dem Klo rauchte oder im Klassenzimmer blieb.
Wieder grinste Matze sein überhebliches Grinsen. Er dachte schon immer, dass er was Besseres wäre, weil sein Vater Architekt war und dieses hässliche Bürogebäude in der Innenstadt entworfen hatte. Aber Matze hatte eine Schwachstelle. Das wusste zwar weder er selbst, noch alle anderen Schüler, aber Hannah wusste es. Und Hannah ist das coolste Mädchen mit dem befreundet bin. Eigentlich ist sie auch die einzige mit der ich befreundet bin. Matzes Schwachstelle war, dass er am liebsten Jogginghosen trug.
Ich sah Hannahs rote Locken hinter Matze auftauchen und wie sie seinem Hinterkopf eine Fratze schnitt. Dann zog sie Matze Jogginghose samt Unterhose runter und er stand plötzlich mit splitterfasernacktem Unterleib vor der gesamten Schule. Hatte ich erwähnt, dass Matze einen kleinen Pimmel hat. Und das wusste jetzt ebenfalls die gesamte Schule. Alle starrten auf seinen kleinen Penis. Ole konnte sich neben ihm ein Lachen nicht verkneifen. Matzes Kopf wurde puterrot.
„Was glotzt ihr denn alle so? Verpisst euch!“ Verschämt zog er sich die Hose wieder hoch.
Als er sich umdrehte, um seinen Bloßsteller zu packen, rannte Hannah schon wieder über den Schulhof.
„Ich mach die fertig, du Hexe!“
Ich hatte die Ablenkung genutzt und war aufgestanden. Matze kam zu mir herüber und packte mich am Kragen.
„Und dich mach ich auch fertig! Das kannst du mir glauben!“
Ich glaubte es ihm.
Und jetzt sitze ich hier mit Hannah in unserem Bretterverschlag und mein Herz donnert hinter meinen Rippen.
Hannah schaut zwischen einem der Bretterschlitze durch.
„Wie viele sind es?“
„Sieben.“
Ich höre die Stimmen immer näher kommen. Sie sind bereits am Fuß des Hügels und versuchen den rutschigen feuchten Lehmboden hinaufzukommen.
Hannah nimmt die selbstgebastelte Schleuder in die Hand, greift sich einen der vielen Steine, die wir hier irgendwann mal hochgeschafft haben und mit denen wir sonst ziellos auf die Bäume feuerten. Sie spannt das Gummi und lässt los. Ich schaue durch den Bretterschlitz und sehe wie Ole am Kopf getroffen wird, den Halt verliert und rückwärts den Hügel hinunterpurzelt. Hannah greift sich einen weiteren Stein und zielt auf einen der Jungs die fast schon oben sind. Sie trifft ihn und auch er fällt rückwärts den Hügel hinunter. Matze steht unten und schaut zu uns hoch. Mittlerweile sind wir umzingelt von vier seiner Kumpels, die versuchen unseren Bretterverschlag auseinanderzunehmen.
Hannah nimmt meine Hand in ihre. Sie ist heiß und schwitzig.
„Bei „drei“ flüchten wir durch die Tür nach draußen und rennen den Hügel hinunter in den Wald. Da trennen wir uns. Du rennst in Richtung der Häuser, ich in Richtung Fluss! Verstanden?“, flüstert sie mir zu, während die Jungs draußen an den Brettern zerren.
Ich nicke hastig.
„Eins. Zwei.“ Das Adrenalin rauscht durch meinen Körper. „DREI!“
Wir drücken die Tür auf, die sich nur von Innen öffnen lässt und preschen zur Überraschung der anderen den Hügel hinunter. Ich gerate ins schlingern, kann mich aber gerade noch fangen. Die Angreifen können gar nicht so schnell reagieren, wie wir flüchten.
„Sie wollen fliehen! Schnappt sie euch!“, schreit Matze seinen Brüllaffen zu.
Ich drehe mich kurz um und sehe Hannah zwischen den Bäumen Richtung Fluss verschwinden, muss dann aber wieder nach vorne schauen, damit ich nicht über eine Baumwurzel stolpere. Meine Beine fliegen über den Boden, springen über Stöcker und Baumstümpfe. Ich weiß nicht, wie viele mir folgen, aber es sind mindestens zwei. Sie brüllen, dass sie mich windelweich prügeln werden. Ein Reh springt plötzlich vor mir aus einer Senke. Vor Schreck komme ich ins Straucheln, kann mich aber gerade noch fangen. Ich wusste gar nicht, dass ich so schnell rennen kann.
Das Blut rauscht in meinen Ohren während ich zwischen den Bäumen und Büschen hindurch flitze. Ich drehe mich kurz um. Ole und Kai folgen mir. Ole ist eigentlich der beste Läufer in der Klasse, aber die Angst verprügelt zu werden, lässt mich schneller laufen, als jeder Sprinter. Vielleicht sollte mir im Sportunterricht auch mal eine Horde Jungs folgen. Ich würde bestimmt Spitzenzeiten hinlegen. Aber leider ist das hier weder Sport noch Spaß. Ole meint es ziemlich ernst und kommt mir immer näher. Kai lässt mittlerweile nach.
„Ich krieg dich, du Schwuchtel!“, brüllt Ole mir hinter her.
Aber auch meine Puste geht mir mittlerweile aus. Ich hechle und versuche die letzten Reserven aus mir herauszuholen. Bis zu den Häusern schaffe ich es nicht mehr. Ich bleibe stehen und drehe mich um. Kai ist nicht zu sehen. Ole ist nur noch ein paar Meter von mir entfernt. Er wird langsamer und fixiert mich mit seinen Augen. Ich balle meine Fäuste.
„Was wird das denn jetzt?“
Ich tänzle wie ein Boxer hin und her.
„Wonach sieht´s denn aus? Wir kämpfen jetzt Mann gegen Mann!“
Ole lacht, aber ich nutze den Moment, renne los und schmeiße ihn zu Boden. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich einem anderen Jungen überlegen. Zumindest für ein paar Sekunden, denn Ole fängt sich ziemlich schnell und plötzlich liege ich unter ihm und bekomme einen Schlag nach dem anderen ab. Immer wieder. Ich zerre an seinen Klamotten, und boxe in seinen Bauch, aber es scheint ihn überhaupt nicht zu beeindrucken.
„Du bist echt ein Schwächling!“ Dann spüre ich eine Faust in meinem Magen. Mir wird schlecht. Solche Schmerzen musste ich noch nie ertragen und so langsam bin ich an dem Punkt, wo ich aufgeben möchte. Ich frage mich, ob Hannah es bis zum Fluss geschafft hat. Ole hebt seinen Arm, als er ein weiteres Mal auf mich einschlagen möchte, aber dann verdreht er auf merkwürdige Art seine Augen, kippt nach vorne und landet mit seinem Oberkörper auf meinem. Zuerst bin ich zu perplex, schiebe ihn dann aber von mir herunter. Er ist ohnmächtig und einige Meter entfernt sehe ich Hannah mit der Steinschleuder.
„Dich kann man aber auch gar nicht alleine lassen!“ Sie lacht und ihre roten Locken fliegen im Wind.
Sehr lustig und spannend, wann gibt es die Fortsetzung?
Danke Dir. Es dauert noch ein bisschen, aber ich bin dran. Wird was Längeres 😉