
Was hat dich bloß so ruiniert
Eine Liebesgeschichte, zu der mich ‚Die Sterne‘ inspiriert haben:
„Versprich mir, dass du nicht springen wirst!“, sage ich. Wir liegen auf diesem Dach, unserem Dach. Hoch über allem, hoch über der Welt. Eigentlich viel zu hoch für einen Lebensmüden. Aber wer blickt nicht gerne in das Auge des Sturms. Zumindest mal kurz. Nur für einen Moment.
„Ich verspreche es dir.“
Ich weiß, dass du lügst und trotzdem beruhigt es mich. Lügen beruhigen alle. Hauptsache man muss sich nicht mit der Wahrheit beschäftigen. Die könnte ja noch unbequem werden. So wie damals, als wir uns das erste Mal begegneten, auf dieser Wiese irgendwo in Ostdeutschland, zwischen tausenden von Menschen haben wir uns gefunden. Es ist ein Wunder, dass du mir überhaupt aufgefallen bist. Du bist nämlich so gar nicht auffällig. Versuchst unsichtbar zu bleiben, obwohl du gar keinen Grund dazu hast. Aber so ist das wohl mit Menschen die Geheimnisse haben. Sie bleiben ein Rätsel. Werfen dir ab und zu einen Brocken hin und wenn du ihn dechiffriert hast, hat er schon wieder eine andere Oberfläche angenommen.
Du bist so unspektakulär schön, vielleicht bist du mir deshalb aufgefallen. Vielleicht auch nur, weil du mich angesprochen hast, auf der Lichtung zwischen den Birken, die geschmückt waren mit silbernen Fäden, mit Lampions, die aussahen wie Meeresbewohner, Papier, dass im Wind hin- und herraschelte. Die schwarzweißen Bäume wurden von Lichtern in Regenbogenfarben eingehüllt und die anderen, die sich wie ich hier herumtrieben, verschmolzen mit der Umgebung. Ich lag in einer der Hängematten, die zwischen die Bäume gespannt waren. Alleine. Warum ich alleine war, weiß ich schon gar nicht mehr genau. Ich war schon seit Stunden alleine unterwegs. Es machte mir auch nichts aus, schon als Kind nicht. Da konnte ich mich ewig mit mir selbst beschäftigen.
Sterne
Du tauchtest plötzlich auf zwischen den Lichtern, völlig aus dem Nichts, das Schwarz deiner Kleidung absorbierte alles. Hast dich umgeschaut, mich angesehen, gegrinst. Ich habe gelächelt. Ich muss immer lächeln, wenn mich einer angrinst. Wegen der Spiegelneuronen.
„Darf ich mich zu dir legen?“, hast du mich gefragt und ich habe genickt und du hast dich zu mir in das schaukelnde Schiff gelegt, zwischen die Quallen und Wasserpflanzen, die sich wie in Zeitlupe bewegten. Ich spürte wie deine Körperhälfte meine berührte, mich durchflutete und erst da spürte ich, dass ich fror. Aber dann warst du da und hast mich ganz einfach gewärmt mit deiner Anwesenheit. Und wir schwiegen und schaukelten sanft hin und her.
„Weißt du, eigentlich wollte ich ja die Sterne sehen, aber dann hab ich dich hier liegen sehen.“
Ich schaute nach oben.
„Hier kann man die Sterne doch gar nicht erkennen?“
Du lachtest so weich, dass es mich umhaute.
„Ich mein doch die Band.“
„Achso.“
„Ein bisschen kann man die Sterne hier aber doch sehen.“
„Meinst du jetzt immer noch die Band?“
Du lachtest wieder.
„Schau mal nach oben.“
Und durch das Meer der Bäume, die sich über uns bewegten, konnte man das Schwarz des Himmels erahnen.
Unsere Handflächen berührten sich vorsichtig, zufällig, absichtlich, ich weiß es nicht mehr, aber ich spürte deine Haut an meinen Fingern, dazwischen, warm umschlossen.
Wir starrten durch die regenbogenfarbenen Blätter in die schwarze Nacht. Ich wollte nicht, dass diese Nacht endet. Aber natürlich endete sie spätestens als die Sonne aufging. Alles endet. Irgendwann. Die Sterne haben wir nicht mehr gesehen.
Ich bin aufgewacht in deinem Zelt, neben dir in deinem Schlafsack. Du warst wach, hast gar nicht geschlafen.
Zwischen den Birken, den Schlingpflanzen, den Unterwassertieren, in unserer Hängematte, im Zelt warst du gerade in deiner Hochphase. Du hast so was angedeutet, aber ich habe mich viel zu sehr auf die Wärme deines Körpers konzentriert, deinen Geruch, deinen Atem, deine Lippen. Eigentlich hast du es nur verschleiert. Du verschleierst immer alles. Sogar, dass du Schokolade hasst. Wie kann man bitte Schokolade hassen? Vielleicht genauso wie man drei Wochen später in ein schwarzes bodenloses Loch fallen kann, dass einen verschlingt.
„Sehen wir uns wieder?“, habe ich dich gefragt und du hast genickt.
Sterne
Eine Wochen später standest du mit einem Koffer vor meiner Tür und bist bei mir eingezogen. So schnell war ich noch nie mit jemandem zusammen. Aber es hat alles so gepasst. Drei Wochen lang waren wir wie Bonnie und Clyde, Nancy und Sid, Yoko und John. Wir haben Pläne geschmiedet, du wolltest mich heiraten, Kinder mit mir haben, am besten zwei Mädchen und einen Jungen, weil Jungs sind ja schwieriger in der Pubertät, hast du gemeint. Ich musste dich immer ein bisschen bremsen. Manchmal warst du zu schnell. Viel zu schnell. Wenn ich morgens aufgestanden bin, warst du immer schon wach. Ich dachte immer, du wärst ein Frühaufsteher. Aber woher sollte ich das auch wissen. In meinem Herzen habe ich es wohl gewusst. Von Anfang an, aber das hat mich auch so an dir fasziniert. Mich haben schon immer die dunklen Seiten interessiert. Vielleicht weil ich sie selber kenne. Tief in mir drin. Etwas das mir im Nacken hockt und mir einflüstert ich wäre nicht gut genug. Aber bei dir war es kein Etwas. Es war nicht greifbar und doch so real.
An diesem einen Morgen hörte ich, wie die Regentropfen an die Fensterscheibe klopften. Wie passend eigentlich. Nach drei Wochen regnete es zum ersten Mal wieder und als ich meine Augen öffnete, lagst du neben mir. Schlafend. Ich kuschelte mich an dich. Zuerst hast du es wohl nicht wahrgenommen, dann hast du gemurrt, was denn wäre und ich war verwirrt. Ich bin aufgestanden und habe dich erstmal gelassen. Als du nach einer halben Stunde immer noch nicht aufgestanden bist, habe ich nach dir gesehen. Du lagst mit angezogenen Beinen auf der Seite liegend unter der Bettdecke. Ich setzte mich auf den Rand des Bettes und berührte deine Schulter.
„Lass mich in Ruhe!“ hast du gesagt und mich damit so krass getroffen, wie es noch nie jemand getan hat, weil es dir so ernst war.
Genau so wie jetzt, auf unserem Dach.
„Versprich mir, dass du nicht springst.“
Als hätte das irgendwas genützt, aber in meiner naiven Vorstellung habe ich genau das gedacht.
Echt krass! Gefällt mir total gut! Bin einfach nur gespannt, wie es weitergeht …