Der Plan

Der Plan

26. April 2020 0 Von Valentina Baumgartner

„Der Plan“ ist eine dieser halbfertigen Geschichten, die schon lange in den Tiefen meines PCs vergraben lagen.

Nun ist es an der Zeit, die Geschichte endlich wieder auszugraben. Und fertig zu schreiben.

 

 

Der Plan

„Ich habe einen Plan, aber der ist nicht besonders gut.“

„Okay.“

„Wir brauchen seinen Autoschlüssel.“

„Okay.“

Die beiden Jungs standen Schulter an Schulter und blickten unschlüssig hinunter auf Herrn Straß.

Herr Straß, der etwas kauzige Physiklehrer, lag nicht freiwillig bewegungslos auf dem Boden hier in der Physiksammlung.

Eben noch hatte er sich sehr wohl bewegt, hatte den Jungs das Thema ihres Referats über Laborsicherheit erörtert und währenddessen seine Unterrichtsutensilien aufgeräumt. Felix, schon immer ein haptischer Lerner, hatte die Hand nach einer Metallkugel ausgestreckt, die auf dem Tisch stand.

„Nicht anfassen!“, hatte Herr Straß gerufen und Felix‘ Hand weggeschlagen. Das waren die letzten Worte, die er jemals rufen sollte. Denn der Lehrer hatte nun selbst den Kugelkondensator angefasst.

Er war plötzlich erstarrt, Augen weit aufgerissen. Seine Zähne hatten zu klappern begonnen. Dann war er dort zu Boden gefallen, wo er nun immer noch lag.

„Bestimmt hat er den Schlüssel in seiner Tasche.“

„Okay.“

„Schau mal nach.“

„Mhm…“ Felix zögerte.

„Du hast ihn ja wohl umgebracht.“

Felix blickte hinüber zu Jonathan. Rührte keinen Finger. Dass er heute Nachmittag in den Taschen seines toten Physiklehrers nach dessen Autoschlüssel suchen würde, hatte sich heute Morgen nicht ausgemalt.

 

„Wir könnten auch zur Rektorin gehen, oder zum Hausmeister, oder zu wem auch immer, der noch da ist. Die rufen dann die Polizei. Und wen wird die Polizei nach dem Tathergang fragen? Uns zwei. Sie werden uns getrennt befragen. Ich weiß nicht, ob wir es schaffen, uns eine einheitliche Geschichte zu überlegen, in der du ihn nicht umgebracht hast. Sie schöpfen Verdacht, befragen uns noch weiter. Irgendwann klappst du unter dem Druck zusammen. Gestehst. Und kommst in die Jugendhaftanstalt!“

„Okay.“

„Und ich bin hier alleine immer noch in der Schule. Ohne Freunde. Ohne alles. Ich rutsche ab, beginne Drogen zu nehmen mit den Typen an der Bushaltestelle.“

„Okay.“

„Und wenn du wieder frei bist, kannst du in der normalen Gesellschaft keinen Fuß mehr fassen. Niemand will etwas mit einem Mörder zu tun haben.“

„Okay.“

„Ich bin inzwischen aus meiner Drogen-Phase raus. Habe einen guten Job, ein Haus, eine Frau. Vielleicht einen Hund. Aber mein Gesicht ist gezeichnet vom Leben.“

„Okay?“

„Und du kommst eines Abends bei uns vorbei, willst deinen alten Freund besuchen. Siehst wie glücklich ich bin. Mit meinen Hund spiele. Du denkst daran, wie viel Unglück du mir in meinem Leben bereitet hast, kehrst wieder um. Verschwindest einsam in die Nacht. Mit der Gewissheit, dass nichts mehr so sein wird, wie es einmal war.“
„Okay.“

„Und all das könnten wir vermeiden, wenn du den Autoschlüssel suchst.“

Felix nickte. Ganz sicher war er sich noch nicht, wie der Autoschlüssel von Herrn Straß ihre Probleme lösen würde. Er machte den Lehrer ja nicht weniger tot. Und ihn selbst nicht weniger verantwortlich dafür.

Aber er vertraute Jonathan.

Mit spitzen Fingern tastete er die Hosentasche des regungslosen Physiklehrers ab. Die Schlüssel klimperten leise. Vorsichtig zog er die Hosentasche auf. Griff so schnell er konnte herein.

Er hielt die Bund Schlüssel so weit von sich weg, wie er konnte. Zu seiner Erleichterung nahm Jonathan ihm die Schlüssel ab.

 

„Sehr gut. Jetzt müssen wir Herrn Straß nur noch in sein Auto transportieren. Dort reinsetzen. Dann sieht es aus wie ein Unfall.“

„Okay.“

„Als hätte er einen Stromschlag in seinem Auto bekommen. Das kann passieren, oder? Bestimmt. Alleine in seinem Auto. Ohne Zeugen, ohne Verdächtige. Einfach nur ein Unfall.“
„Okay.“

„Wie meist du, bekommen wir ihn zum Auto?“, fragte Jonathan nach einer kurzen Pause.

Felix zuckte mit den Schultern, sah sich um.

Der Blick der beiden fiel auf den Sackkarren im Eck.

„Das könnte funktionieren. Haben wir irgendetwas, mit dem wir ihn dort festschnallen können?“

Felix riss Schränke und Schubladen um sie herum auf. Durchwühlte sie unachtsam. Bis er fand was er suchte. Panzertape.

„Wenn wir ihn an der Wand aufstellen, geht es glaube ich leichter“, schlug er vor.

Jonathan seufzte. Blickte hinab auf den leblosen Körper. Er wollte ihn so wenig wie möglich berühren. Er packte den Physiklehrer an den Füßen. Schleifte ihn über den Boden zwischen den Regalen und Unterrichtsmaterialien.

Den Lehrer aufrecht auf den Sackkarren zu schnüren, hatte sich als schwieriger herausgestellt, als vermutet.

Vor allem weil sich Jonathan weigerte den leblosen Herrn Straß zu berühren. Er hatte ihn ja schließlich nicht umgebracht.

Nun waren sie schon etwas weiter gekommen. Den mit Kunstprojekten der Schüler gespickten Gang hinab. Jonathan schob die Sackkarre. Felix hielt dabei den Physiklehrer aufrecht, so gut er konnte.

Plötzlich blieb Jonathan stehen. Felix stolperte etwas voran, hielt dann auch an.

„Hörst du das?“, flüsterte Jonathan.

Sein Freund reckte seinen Kopf in die Höhe.

Schritte. Jemand kam auf sie zu!

„Schnell, hier rein!“, Jonathan drückte die Klinke einer Klassentür neben ihnen hinunter. Die Tür öffnete sich nicht. „Shit… Abgeschlossen!“, zischte er panisch.

Felix schaute sich wild um. Die Schritte kamen näher. „Okay…“, murmelte er.

Er bugsierte die Sackkarre hinüber zur Wand. Lehnte den bewegungslosen Lehrer dagegen. Zog Jonathan hinüber. Er platzierte sich vor ihren Lehrer, als wären sie gerade in einem Gespräch mit ihm.

Jonathan nickte. Er hatte verstanden, stellte sich ebenfalls breit vor den Lehrer, verschränkte seine Arme vor der Brust.

„Ja, Herr Straß, verstanden, wir sollen das Referat als Chance sehen, endlich mal etwas Einsatz im Unterricht zu zeigen. Wir nehmen es natürlich ernst.“

Die Schritte erreichten sie. Felix und Jonathan blickten sich um. Es war der Kunstlehrer, Herr Mahsen. Seit Kurzem trug er einen ungepflegten Drei-Tage-Bart. Über seine Schulter hatte er eine zusammengerollte Matratze gehievt. Er blieb nicht stehen, als er die beiden Schüler und den Physiklehrer im Gang sah.

„Hallo Herr Straß. Jonathan, Felix.“

„Hallo Herr Mahsen.“

Herr Mahsen beschleunigte seinen Gang, schaute stur geradeaus. Die Jungs beobachteten wie er schnell den Flur entlang schritt. Er bog ab Richtung Kunstgang. Das hinter Ende seiner geschulterten Matratze hüpfte auf und ab und verschwand dann auch ums Eck.

Jonathan stieß einen erleichterten Seufzer aus. „Glück gehabt“, flüsterte er, „Wir sollten uns beeilen!“

„Okay…“, murmelte Felix.

Sie begannen wieder, Herrn Straß auf seiner Sackkarre zu schieben.

Aus dem Schulgebäude hinaus, die Stufen zum Eingang hinunter.

Jonathan verlor beinahe die Kontrolle über die Sackkarre. Felix und Herr Straß stolperten ein paar Stufen hinunter, bis sie sich wieder fingen.

Sie schoben den Lehrer die Einfahrt zum Schulgebäude hinunter, vorbei an den Fahrradständern zum Lehrerparkplatz.

Eines der Autos, ein alter Ford, stand mit offener Heckklappe, etwas schief auf dem Parkplatz. In seinem Kofferraum standen einige Umzugskartons. Dazwischen einzelne Klamotten, Schuhe, eine Tüte von Edeka gestopft.

Die Jungs betrachteten das volle Auto mit schiefem Blick. Es war das von Herrn Mahsen.

 

„Hoffentlich kommt er nicht gleich wieder… Welches meinst du gehört Herrn Straß?“, fragte Jonathan und riss seinen Blick vom vollgestopften Auto des Kunstlehrers.

Felix zuckte mit den Schultern. Sah sich ebenfalls ratlos um. Vier Autos standen noch auf dem Parkplatz.

Jonathan holte den Schlüsselbund aus der Tasche und drückte auf den Knopf zum Entsperren.

Der silberne Mercedes direkt neben dem Auto des Kunstlehrers leuchtete auf.

„Sehr gut!“, murmelte er.

Sie schoben Herrn Straß zwischen die beiden Wägen. Felix öffnete die Fahrertür. So schnell sie konnten, befreiten sie ihren Physiklehrer vom Panzertape, mit dem sie ihn an der Sackkarre befestigt hatten.

Felix fing ihn mit beiden Armen auf, bevor er umfiel. Inzwischen hatte er seine Berührungsangst vor dem toten Körper verloren.

Jonathan packte ebenfalls mit an, als sie Herrn Straß in das Auto legten. Alleine hätte Felix das nicht geschafft.

„Vorsichtig… Achtung, das Bein!“

„Okay.“

„Das andere Bein!“

„Okay.“

Sie fädelten den Physiklehrer in den Sitz. Felix drückte ihm den Schlüssel in die Hand. Er saß nicht sonderlich aufrecht. Aber gut genug.

Jonathan schlug die Fahrertür zu.

Die Bewegung brachte den leblosen Physikleher zum Wackeln. Er fiel vorne hinüber. Mit dem Kopf auf das Lenkrad. Ein lautes Hupen ertönte, hallte an der Wand des Schulhauses wider.

Die beiden Jungs zuckten zusammen. „Scheiße!“ Jonathan riss die Tür wieder auf. Er drückte den Physiklehrer von der Hupe herunter in seinen Sitz hinein.

„Wir müssen ihn anschnallen!“

Jonathan beugte sich in den Wagen. Riss am Fahrergurt. So schnell, dass der Gurt blockierte und sich nicht weiter bewegte.

„Mist.“

Er versuchte es noch einmal.

Während er noch mit dem Gurt kämpfte, hörte Felix ein Rascheln im Gebüsch neben dem Parkplatz. Unruhig tippte er Jonathan auf die Schulter.

„Was ist los?“ Sein Freund schaute fragend zurück, er hatte den Kampf gegen den verzwickten Gurt immer noch nicht gewonnen.

Jetzt sah er es auch. Etwas bewegte sich im Gebüsch neben dem Lehrerparkplatz.

Endlich klickte es und der Gurt war eingerastet. Jonathan schlug die Autotür zu. Felix stellte sich aufrecht neben das Auto, die Sackkarre in der Hand. Das Panzertape hinter dem Rücken.

Aus dem Busch kroch Frau Schneider hervor. Die Direktorin der Schule. In ihren Haaren hatten sich einige Blätter verfangen. Sie trug grüne Gartenhandschuhe. In ihrem Mundwinkel steckte ein selbstgedrehter Joint, den sie fallen ließ, als sie die beiden Schüler erblickte.

Schnell richtete sie sich auf, klopfte den Staub von ihrer Hose.

„Was macht ihr denn hier für einen Radau?“

„Was machen Sie denn hier im Gebüsch, Frau Schneider?“, konterte Jonathan.

Felix Knie zitterten. Er hätte sich nie getraut, der Rektorin aufmüpfig zu antworten. Vor allem nicht mit dem toten Herrn Straß im Auto hinter ihnen.

Die Rektorin zog die Augenbrauen nach oben. Ihr scharfer Blick hätte furchteinflößend sein können, wenn sie nicht gleichzeitig noch mit dem Fuß ihren qualmenden Joint auf dem Boden ausdrücken hätte müssen.

„Gärtnern“, antwortete sie knapp auf Jonathans Frage. „Und was wird hier gespielt?“ Sie deutete auf die Sackkarre und das geöffnete Auto des Kunstlehrers. Zum Glück hatte sie Herrn Straß im Auto hinter ihnen nicht entdeckt.

„Herr Mahsen hat uns gebeten, ihm beim Tragen zu helfen“, log Jonathan mit kurzem Blick auf die Umzugskartons.

„Aha. Und was ist da drin?“

„Unterrichtsmaterialien?“ Jonathan schob die Sackkarre hinüber zum offenen Auto und hob einen der Kartons heraus. Etwas klirrte darin, als würde es zerbrechen.

Felix blieb weiterhin wie erstarrt vor dem Auto mit dem Toten stehen.

„Unterrichtsmaterialien?“

„Wahrscheinlich… oder? Was sonst würde Herr Mahsen denn in der Schule brauchen? Er hat es nicht genau gesagt.“ Jonathan runzelte die Stirn, als wäre er ehrlich verwirrt.

Frau Schneider zog ihre Gartenhandschuhe aus. „Das ist merkwürdig. Ich werde dem auf den Grund gehen. Ihr wartet solange hier!“

Sie lief schon in Richtung Schulgelände. Fischte im Laufen ein Blatt aus ihren Haaren.

Jonathan und Felix sahen sich mit aufgerissenen Augen an. „Scheiße, langsam glaube ich, wir hätten Herrn Straß doch einfach in der Physiksammlung liegen lassen sollen“, zischte Jonathan.

Felix nickte.

„Wenn die jetzt hier wieder auftauchen, sollte Herrn Straß nicht mehr hier sein. Sonst entdecken sie ihn noch. Wir sollten ihn wegfahren.“

„Okay.“

Jonathan öffnete die Fahrertür ein weiteres Mal. Schnallte seinen leblosen Lehrer wieder aus. „Hilf mir mal, wir setzten ihn auf die Rückbank.“

Die beiden Jungs bugsierten den Körper wieder aus dem Auto heraus und hoben ihn auf den Platz hinter dem Fahrer. Dort wurde er wieder angeschnallt.

Jonathan stieg in das Auto, klemmte sich hinter das Lenkrad.

„Komm schnell, bevor die Schneider und Mahsen kommen!“

Felix eilte zur Beifahrertür und warf sich auf den Sitz neben seinem Kumpel.

Dieser hatte bereits das Navi des Lehrers angeworfen.

„Bingo! Er hat seine Home-Adresse eingetragen. Wir stellen das Auto einfach bei ihm daheim in die Einfahrt. Dann wirkt es so, als wäre er nach Hause gefahren und hätte dort einen Elektroschock bekommen.“

„Okay!“ Felix nickte, mehr um sich selbst zu bekräftigen. Er warf den Kopf zurück.

Die halboffenen Augen des toten Physiklehrers ließen ihn schaudern. Schnell drehte er sich wieder um.

Jonathan ließ den Motor aufheulen und fuhr los. Zwei praktische Fahrstunden hatte er schon gehabt. Gut genug, um diesen Schlitten durch die Straßen ihrer Stadt zu kutschieren.

Herr Straß wohnte in einem der spießigsten Wohngebiete der Stadt. Doppelhäuser an Doppelhäuser gereiht. Mit gut manikürten Hecken und Rasenmäher-Robotern. Hin und wieder stand in einem der Gärten eine Schaukel oder ein Klettergerüst.

Sie fuhren die Einfahrt seines Hauses hinauf.

Jonathan würgte den Motor ab.

„Wir können ihn eigentlich so nicht auf dem Rücksitz lassen, oder? Sollen wir ihn wieder auf den Fahrersitz setzen?“

„Okay.“

Die beiden stiegen gleichzeitig aus. Blickten sich um. Die Straße war zum Glück menschenleer.

Vorsichtig bugsierten sie ihren Physiklehrer wieder aus den Rücksitz hinaus zurück in den Fahrersitz. Jonathan schnallte den Gurt um ihn.

Felix schlug die Tür zu.

Dann drehten sie sich um. Liefen so schnell sie konnten, ohne zu Rennen und so Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, die Einfahrt hinab und dann die Straße entlang.

Hände in den Hosentaschen. Blick auf den Boden gerichtet.

Jonathan kickte einen Stein über den Asphalt hinüber zu Felix. Der ihn wieder zurückspielte.

 

Ein Auto passierte die beiden, als sie fast am Ende der Straße angekommen waren. Jonathan blickte kurz auf.

„War das Frau Eil?“, fragte er.

Felix zuckte mit den Schultern. Die Musiklehrerin mit den leuchtenden roten Haaren war unverkennbar. Selbst hinter einem Autofenster.

„Meinst du…“, Jonathan blickte kurz zurück. „Scheiße.“

Frau Eil bog in die Einfahrt ihres Physiklehrers ein.

Die beiden Jungs verfielen in einen Laufschritt. Bogen in die nächste Straße ein, eilten weiter. Ohne sich nochmal umzublicken.

„Scheiße, wir hätten ihn einfach in der Physiksammlung liegen lassen sollen…“, murmelte Jonathan.

Felix nickte bestätigend.

„Und jetzt?“

Sie zögerten. Was war, wenn Frau Eil sie gesehen hatte? Was wenn sie irgendjemand gesehen hatte? Sollten sie wieder zurückgehen? Gestehen?

Felix seufzte. Jetzt war es auch schon zu spät, das würde ihnen niemand glauben. „Lass uns zu Burgerking was essen“, schlug er vor.