Osterspaziergang oder: Zurück zur Natur

Osterspaziergang oder: Zurück zur Natur

21. April 2019 0 Von Christine M. Brella

Das Jahr 2031. Ein Meteorit schlägt in Mexiko ein. Die Schockwelle rast über das Land; zerstört alles, was sich ihr in den Weg stellt. In der Folge brechen Tsunamis über die Küstenstriche herein; eine elektromagnetische Impulswelle lässt jedes elektronische Geräte auf der Erde still stehen; Steine und Staub werden in die Atmosphäre geschleudert; die Erdoberfläche heizt sich kurzfristig auf 300°C auf; die Luft riecht nach Schwefel und Rauch; Staubteilchen verdunkeln die Sonne für die kommenden Jahre. Alle Menschen und Tiere die zu diesem Zeitpunkt noch am Leben sind, finden sich in einer feindlichen Welt wieder, in der Chaos und rohe Natur herrschen. Der Kampf ums Überleben beginnt.

Mit einem mulmigen Gefühl schaltest Du den Fernseher aus. Natürlich weißt Du, dass die Wahrscheinlichkeit an einem Meteoritentreffer zu sterben deutlich niedriger ist als von einem Auto überfahren zu werden – wenn auch wahrscheinlicher als einen Meteoritentreffer zu überleben. Deinen ersten Impuls, sofort nach guten Überlebensstrategien zu googeln – solange Du noch googeln kannst – unterdrückst Du also sofort wieder. Stattdessen tust Du etwas, das Du Dir schon lange vorgenommen hast. Du ziehst Dir Deine Schuhe an für einen Osterspaziergang ins Grüne.

Draußen empfängt Dich warmer Sonnenschein. Du drehst Dein Gesicht in die gleißende Helle und schließt die Augen. War die Sonne schon immer so – hell? In den Vorgärten der Nachbarn strotzt eine wahre Blütenpracht. Weiße Margeriten stehen neben veilchen-blauen, mohnblumen-roten und sonnenblumen-gelben Blumen, deren Namen Du nicht kennst. Wenn Du daheim bist, googelst Du vielleicht danach. Die Gärten sind angefüllt mit dem Summen allerlei geflügelter Insekten. Darunter sind sogar ein paar Bienen. Über die dicken Hummeln, unter deren Gewicht der duftende Salbei weg knickt bei der Landung, musst Du lachen. Lästige Mücken sind zum Glück nicht in Sicht. Der Ruf einer Amsel lässt Dich nach oben in das Geäst einer riesigen Rotbuche blicken. Du pfeifst ein bisschen, aber die Amsel unterhält sich lieber mit der Amsel auf der Regenrinne vom Haus links.
Von der Kastanie hast Du einen unverstellten Blick auf den sonnigen Schlittenberg und die grasgrünen Wiesen dahinter. Du saugst die süße, warme Abendluft in Deine Lungen. Von so einem Anblick muss jeder träumen, der in der Wüste wohnt, oder im Weltall, oder auf einer meteoritenverseuchten Erde mit Staub statt Sonne. Da wird Dir auf einmal klar: Wir leben im Paradies.

Nach einem letzten Blick auf die Frühlingswiesen drehst Du Dich um und läufst über die Straße zum Waldrand. Stille und der reine Geruch nach Harz und Fichtennadeln empfängt Dich. Das Knirschen von Kies unter Deinen Sohlen ist das einzige Geräusch, das an Deine Ohren dringt, abgesehen vom Rauschen der Blätter, das eventuell auch das Sausen der nahen Autobahn ist. Du folgst dem breiten Kiesweg nach Westen und genießt den Frieden hier und die Ordnung. Jede Fichte steht schnurgerade neben der anderen, in gut bemessenem Abstand. Auf der Lichtung, die letztes Jahr gerodet worden ist, stehen jetzt in Reih und Glied hellgrüne Minifichten. Damals im Ur-Wald muss es mühsam gewesen sein das Holz sinnvoll zu nutzen. Da hat es ja all die romantischen Forstwege noch gar nicht gegeben.

Du erreichst die Wegkreuzung, an der vor 150 Jahren der Legende nach eine Mutter und ihre Tochter Opfer von Wölfen geworden sind. Zum Glück sind solche Vorfälle Geschichte. Es gibt hier im Wald keine Tiere mehr vor denen man sich fürchten muss. Keine Wölfe, keine Bären, keine Luchse. Der Rehbestand ist gut kontrolliert und nur eine Gefahr für Babyfichten und Getreidefelder. Braucht man Rehe eigentlich noch? Das Geld für eine Wildbrücke über die Autobahn kann man sicher sinnvoll anders einsetzen. Für bezahlbaren Wohnraum zum Beispiel.

Happy Easter

Du setzt Dich auf die Bank am Wegrand und nimmst die Ruhe tief in Deinem Herzen auf. Nirgendwo kann man so viel Kraft schöpfen wie in der Natur – wobei Natur an dieser Stelle eventuell der falsche Begriff ist. Die echte, wilde, chaotische Natur wäre vermutlich ziemlich anstrengend.

*Bild von pixabay

*Anmerkung der Autorin: Wenn ich mir das so durchlese, kommt mir ein leiser Verdacht, warum ich Geschichten mag, die in der Vergangenheit spielen. Zum Beispiel im Wilden Westen.