
Sophie dritter Teil
Nun geht es weiter mit meiner Sophie-Reihe. Was hat sie im Park gesehen und warum sind die Straßen und Häuser menschenleer?
Falls ihr die ersten Teile noch nicht kennt.
Hier geht es zu Teil Zwei und Eins: http://schreiberundsammler.de/sophie-teil-zwei/
http://schreiberundsammler.de/sophie/
Auf dem Dach
Sophie drückt die schwarze Klinke nach unten und stemmt sich mit aller Kraft gegen die schwere Eisentür. Ein Windstoß bläst ihr über das Gesicht und sofort spürt sie Schneeflocken auf ihrer Haut schmelzen. Zuerst guckt sie vorsichtig durch den Türspalt und sieht ein Stück grauen Horizont, einen Teil des Flachdachs und den Sims. Ihre Hände zittern, das Herz pocht schnell und trotzdem ist ihre Neugierde stärker. Sie braucht sehr viel Kraft um die Türe ganz aufzuschieben und versucht dies so leise wie möglich zu tun. Doch es quietscht und ganz kurz verflucht Sophie den Hausmeister. Weil erstens nicht abgesperrt ist und zweitens die Einfassungen nicht geölt. Wie so vieles im Haus einfach in den letzten Jahren vernachlässigt wurde. Doch ohne diese Nachlässigkeit würde sie jetzt vor verschlossener Tür stehen.
Sie verweilt kurz in der offenen Dachgeschosstür und macht einen Schritt nach draußen. Der Wind ist bemerkenswert kalt. Sophie kann sich nicht daran erinnern, dass es jemals so frostig gewesen ist. Sie umklammert ihren Mantel und zieht sich mit einer Hand die Kapuze über. Am Türrahmen über ihr hängen lange Eiszapfen. Sie muss sich ein wenig ducken, damit ihre Kleidung sich nicht verheddert. Vor ihren Augen tut sich gähnende Leere auf. Das schneebedeckte Flachdach. Hinter dem Sims scheint die Welt aufzuhören. Wie eine Wand verdecken schwere Wolken und weißes Gestöber die Sicht. Wo ist das Wesen aus dem Park? Sie dreht sich um und erschrickt kurz. Die Betonwände des Häuschens vom Dachaufgang sind mit einer dicken Schicht Eis überzogen. Es sieht aus wie in Sophies Gefrierfach. Ungläubig streckt sie die Hand danach aus und zieht ihren Finger sofort zurück. Das gleiche wie im Park passiert. Schockfrost. Es zwickt kurz. Reflexartig schüttelt sie ihre Finger und geht zwei Schritte zurück. Plötzlich nimmt sie eine Bewegung schräg hinter dem Häuschen wahr. Dann ein Geräusch, dass wie ein Schmatzen klingt. Ihr Blick schweift über den Aufgang. Dann sieht sie zögernd daran vorbei. Doch um richtig zu erkennen was sie dort sieht muss sie um das Haus herum gehen. Langsam und mit wilden Puls zwingt sie sich voran und bleibt stocksteif stehen.
Sie blinzelt zweimal. Drache, Drache, Drache…wiederholt sich in ihrem Kopf. Ein Drache?!
Nochmal Blinzeln. Der Drache sitzt auf dem Sims am anderen Ende des Flachdachs. Ein Drache. Langsam lässt sie das Wort auf der Zunge zergehen und noch langsamer sickert es in ihren Verstand. Zusätzlich hängt sie das Adjektiv weiß daran. Ein weißer Drache. Innerlich lacht etwas über sie. Doch sie kann noch so oft blinzeln und das Wort durchkauen wie ein altes Stück Brot. Das Bild das sie vor sich hat, verändert sich nicht. Noch ein Fakt kommt dazu. Ein weißer Drache sitzt auf dem Flachdach über ihrer Wohnung und isst. So wie Karl es manchmal zu seinen Fußball Abenden mit seinen Kollegen getan hatte. Wenn die Schale mit den Erdnüssen auf dem Fernsehtisch stand und Sophie sich darüber beschwert hatte, dass die Krümel überall verteilt sind, weil Karl sie sich nicht normal in den Mund steckte, sondern sie sich aus einiger Entfernung hinein warf.
Ein weißer, geflügelter Drache mit einem Körper so hoch wie die Kastanien im Park und so schwerfällig wirkend wie bei einem Bär mit Winterspeck. Er sitzt mit den Hinterbeinen auf dem Sims, seine Krallen, die Sophie an ihre besten und schärfsten Küchenmesser erinnern bohren sich dabei in den Stein. Mit beiden Vorderkrallen schält er eine Erdnuss und sieht dabei aus wie ein überdimensionales Eichhörnchen, das eine viel zu kleine Nuss bearbeitet. Dann wirft er den geschälten Kern in die Luft, öffnet sein riesiges Maul, gibt dabei eine Reihe mächtiger Zähne preis und fängt die Erdnuss mit der Zunge, die wie ein Peitschenhieb knallt als sie die Luft durchschlägt. Das sind die Nüsse die sie im Park verteilt hat! Er hat sie eingesammelt! Sophie weiß nicht was sie tun soll. Ein Teil von ihr möchte davon rennen und denkt, dass dieses Ungeheuer bestimmt auch Menschenfleisch mag und die Erdnuss sowas wie Garnichts ist, ja noch nicht mal eine Vorspeise für dieses Monster.
Doch etwas lässt sie verweilen. Die Flügelhaut wirkt leicht transparent und sonst ist alles an ihm mit Fell überzogen, das vom Wind durchwühlt wird und Sophie an einen Schneehasen erinnert. Sein Gesicht stimmt nicht mit denen überein die sie aus Märchenbüchern kennt. Es scheint beinahe süß, ja fast so wie ein Teddybär. Sie lächelt kurz. Dann rülpst der Drache. So laut, dass man es selbst in den Alpen noch hören könnte. Es hallt von den umstehenden Hauswänden und die Schneeflocken vor seinem Maul wirbeln durcheinander. Dann schmatzt er, seufzt und beginnt die nächste Nuss zu schälen. Das hilft ihr sich wieder zu fangen. Sie merkt wie ihr Verstand zurück kommt, wie sie begreift, dass es keine Einbildung ist und spürt wie sich ihre Hände zu Fäusten ballen, wie sich ihr Körper darauf vorbereitet zu flüchten. Niedlich und flauschig bedeutet nicht gleich freundlich. Er könnte dich mit einem Habs aufessen, ermahnt sie sich. Noch hat er Sophie nicht bemerkt. Wie naiv muss man sein! Jetzt ganz vorsichtig. Sie geht zwei Schritte rückwärts und lässt den Drachen nicht aus den Augen. Fühlt sich wie ein kleines Nagetier, das zu neugierig war. Ihr Herz pocht stark. Sie atmet nicht. Der Drache schmatzt genüsslich. Kurz guckt er Richtung Horizont. Die großen löffelförmigen Ohren zucken zur Seite, dann legt er sie an. Er ist so beschäftigt wie eine Katze mit ihrem Futternapf und wirft eine Nuss nach der anderen in die Luft.
Sophie geht weiter rückwärts. Ist sich sicher, dass sie es schaffen kann unbemerkt zu verschwinden. Ganz langsam. Nur keine hastigen Bewegungen, nur nicht atmen, nicht auffallen, nicht …
„Was machen sie denn da?!“, ruft jemand hinter hier. Es ist Frau Krampes Stimme.
Sie zuckt zusammen. Der Drache auch. Er stellt die Löffel auf, sein Kopf schießt nach oben und es dauert nur den Bruchteil einer Sekunde bis er sie gesehen hat! Mist! Frau Krampe muss aufgewacht sein und die offene Tür entdeckt haben. Er richtet sich auf. Wirkt überrascht. Sophie atmet hektisch, dreht sich um. Frau Krampe steht im Nachthemd neben der Tür und starrt mit weit geöffneten Mund an Sophie vorbei.
„Ja um Gottes Willen!“, ruft sie.
Sie sieht ihn also auch. Jetzt weiß Sophie mit Sicherheit dass er echt ist. Schnell weg! Doch bevor sie etwas zu Frau Krampe sagen kann, bückt sich diese und beginnt einen Schneeball zu formen. Sie wirft und trifft ihn am Kopf. Oh Nein!
„Verschwinde du Sau-Viech!“, zischt sie den Drachen an. Der bleibt verdutzt sitzen, in der einen Kralle die Nüsse, die anderen am Sims. Dann schüttelt er sich den Schnee aus dem Fell.
„Halt!“, ruft Sophie. Doch Frau Krampe hat noch einen Schneeball gebaut und wirft ihn munter von sich, trifft einen Flügel. Das pelzige Monster schnaubt. Seine Miene schwindet von überrascht zu leicht verärgert. Sophie will Frau Krampe am liebsten stehen lassen und einfach laufen. Doch sie kann das nicht. Noch ein Schneeball fliegt.
„Verschwinde!“
Diesmal lässt der Drache vor Schreck die Nüsse über den Sims fallen. Verzweifelt sieht er ihnen nach wie sie im Nichts verschwinden. Wütend dreht er seinen Kopf in Richtung Frau Krampe. Die guckt genauso wütend zurück. Der Drache spreizt seine Flügel. Die Spannbreite verdeckt den Himmel. Dann holt er Luft. Jetzt bekommt Sophie richtig Panik. Drachen speien Feuer! Sie löst sich aus ihrer Erstarrung, dreht sich um, greift nach Frau Kampes Hand. Gegen ihre Kapuze drückt etwas, dass sich anfühlt wie ein kräftiger Sturm. Dann wird es für kurze Zeit beängstigend still. Ein Schmerz zieht sich durch ihre Hand, an der sie eben noch die von Frau Krampe gespürt hat. Reflexartig lässt sie los. Dann der nächste Schock. Frau Krampe bewegt sich nicht mehr. Sie ist zu einer Eisskulptur erstarrt.
Sophie kann nicht ganz begreifen was hier gerade passiert ist. Wie in einem Sog gefangen steht sie neben ihrer tief gefrorenen Nachbarin und weiß nicht ob sie schreien, weg laufen oder umkippen soll. Sie fühlt ihren Körper nicht mehr, nur wie der Boden vibriert, als der Drache vom Sims hüpft und sie herausfordernd ansieht während er auf Sophie zugeht. Die Ohren angelegt, die Nüstern aufgeblasen, so wie eine Katze auf eine Maus. Sie kann nicht atmen. Wünscht sich unsichtbar zu sein. Spürt wie ihre Blase nachgeben will. Kurz vor ihr hält er Inne und beugt sein Gesicht zu ihrem hinunter. Sie fühlt seinen Atem auf ihrer Haut. Er schnuppert an ihr. Ihre Gliedmaßen verkrampfen sich. Sie macht die Augen zu. Als sie diese wieder öffnet, weil weiter nichts passiert, sieht sie wie der Drache Frau Krampe beschnuppert. Oder etwas das aussieht wie ihre Nachbarin, nur mit einer fetten Eisschicht überzogen. Will er sie jetzt essen? Er dreht Sophie den Kopf zu, öffnet den Mund. Oh Nein!
„Ist die immer so schwierig?“, sagt er. Sagt er! Er spricht! Es kann sprechen! Das ist zu viel für Sophie. Ihr wird schwarz vor Augen.
😀 was für eine coole Fortsetzung! Frau Krampe ist schockgefrostet gleich viel sympathischer und der Drache ist super! 😀 Bin gespannt wies weiter geht!
Vielen Dank liebe Christine! xD