Aliens auf Piz Buin

Aliens auf Piz Buin

7. Juni 2021 0 Von Daniel Bühler

Eine Geschichte über Aliens, ihre fliegende Untertasse, eine coole Surferin, einen Marmor-Augustus und Sackgassen der Evolution.

Der Espresso war es, der mir sagte, dass hier etwas nicht stimmte. Er war nicht nur zu wässrig, er schien sogar ein leichtes Fischaroma zu besitzen. Dabei konnte ich Meeresgeviech noch nie ausstehen. Bevor mir schlecht wurde, schüttete ich den Rest in den Sand, als der Barkeeper gerade einem quengelnden Kind ein Eis verkaufte. Abgesehen davon, war es ein klasse Tag gewesen – zu klasse, als dass nicht noch etwas passieren musste. Ich lehnte an der Theke einer Espressobar mit Eisverkauf und den typischen Badeutensilien im Angebot, die man für einen Tag am Meer brauchte. Die Sonne wanderte bereits Richtung Horizont und die Hitze des Tages ließ nach. Die Zikaden gaben ihr tägliches Konzert auf der Suche nach ihrer Geliebten.

Die Bar lag am Ende eines Parkplatzes, der in einem Pinienwäldchen an der süditalienischen Küste angelegt worden war und der Duft der Bäume erfüllte die Luft. Von hier aus hatte man freien Blick auf eine Bucht mit türkisblauem Wasser und einen ewigen Sandstrand, auf den sich das Tyrrhenische Meer warf. Das Rauschen der Wellen untermalte den Sound der Zikaden.

Um vom Parkplatz an den Strand zu gelangen, musste man eine riesige Düne hinunter gehen, die im Laufe der Jahrtausende vom Wind aufgeworfen worden war. Mehrere Holztreppen führten hinunter ans Meer, in dem sich immer noch zahlreiche Leute tummelten. In der Ferne sah man hohe Felsklippen, die die langgestreckte Bucht begrenzten. Die riesige Düne war etwas besonderes, doch ich war nicht ihretwegen den langen Weg mit meinem Fahrrad samt Gepäck und Zelt hierhergekommen.

Zu meiner Linken erhoben sich die steinernen Überreste eines antiken römischen Theaters. Seine halbkreisförmig angeordneten Zuschauerreihen schmiegten sich an den vom Meer her ansteigen Hang. Falls die Zuschauer von den ganzen alten Geschichten von Helden, Liebe, Inzest, Mord, neidischen Göttern und hölzernen Pferden gelangweilt waren, hatten sie immerhin einen wunderbaren Blick auf die See. Gegenüber den Zuschauerrängen ragte ein schroffer Felsen aus der Düne. An der Seite, die den Rängen zugewandten war, hatte man die steinerne Bühne errichtet. Der Fels war von römischen Steinmetzen kunstvoll bearbeitet worden und auf seiner Spitze thronte der römische Kaiser Augustus.

Es war eine echte antike Marmorstatue, die in einer nahegelegenen Grabung gefunden worden war. Nach aufwendigen Restaurierungsarbeiten hatte man sie an der Stelle platziert, an der vor zweitausend Jahren eine ähnliche Statue gestanden haben musste. Dieses Ding wollte ich mir anschauen und dann nach einem langen Tag auf dem Rad ins Meer springen . Der Platz zwischen den Zuschauerreihen und der Bühne war von meinem Standpunkt aus nicht zu sehen, da er etwas in den Boden eingegraben worden war. Irgendetwas irritierte mich. Eine Kuppel oder so was ähnliches schien herauszuragen, bevor ich aber genauer hinsehen konnte, begann es.

II

„Bäh, Mama, das Eis schmeckt nach Fisch“, sagte ein Kind. Seine Mutter beachtete es nicht, ich runzelte jedoch die Stirn. Was für ein komischer Laden, in dem alles nach Fisch zu schmecken schien. Sonst wirkte er normal, außer vielleicht, dass es keine Sonnencreme zu kaufen gab. Die entsprechenden Stellen der Regale waren leer.

Es geschah ohne Vorwarnung, als ich über den Dünenabhang aufs Meer sah. Die Brandung war ziemlich hoch und eine kleine Frau ritt auf den Wellen. Wow, dachte ich, die hat’s drauf. Es sah zwar noch nicht so elegant aus, wie in meinem Lieblingsfilm „Gefährliche Brandung“. Dafür machte sie mit ihrer Waghalsigkeit und mit ihrer Energie die Haltungsfehler wieder gut. Sie schien lange, wahrscheinlich blonde Haare zu haben, so genau konnte ich es auf die Entfernung nicht erkennen. Ich stand zwar eigentlich auf Kurzhaarige, aber ich beschloss, sie nachher mal anzusprechen. Vielleicht hatte sie ja Lust, mit mir ein Bier zu trinken – sofern sie hier eine fischfreie Variante hatten. Dafür würde ich sogar den alten Augustus sausen lassen.

Da tauchten plötzlich mehrere seltsame kleine Surfer neben ihr und den anderen Leuten in den Wellen auf. Ich sah noch, wie sie die Kleine vom Brett warfen und sich hinter ihr her ins Wasser stürzten, als das Chaos ausbrach. Das Kind mit dem Eis schrie plötzlich wie am Spieß, seine Mutter stimmte einen Sekundenbruchteil später mit ein. Auch am Strand schrien die Leute vor Entsetzen und rannten. Mir fiel die Kinnlade herab.

Der Barmann, der gerade den widerlichsten Espresso meines Lebens serviert hatte, verwandelte sich in etwas noch scheußlicheres. Der vormals menschliche Körper schmolz dahin, die Reste von Kleidung, Haut und Fleisch tropften herunter und zum Vorschein kam ein kleines Wesen, das mich fatal an die bekannten Darstellungen von Außerirdischen erinnerte. Es hatte zwar einen menschenähnlichen Körper mit Rumpf, Armen und Beinen, doch sein Kopf war überproportional groß, lang und oval, mit zwei ausdruckslosen schwarzen Augen und einem kreisrunden zahnlosen Mund, der dennoch zu grinsen schien. Die Arme waren wie Tentakel, lang und biegsam und in den unförmigen Händen, die mich irgendwie an Flossen erinnerten, hielt das Wesen ein rötlich schimmerndes Ding, das wie ein Fön aussah.

Da der Außerirdische, denn das war er offensichtlich, jedoch keine Haare hatte, ging ich mal davon aus, dass es sich dabei um eine Laserpistole handelte. Bekleidet war der Alien mit nichts als einer Art Slip und einem schwarzen Stirnreifen, der an der Seite jeweils eine kleine Antenne trug. Das musste wohl so eine Art Funkgerät sein, dachte ich mir. Die Haut war glatt, konturlos und total weiß, doch die Gestalt schien von einer Art bläulichen Leuchten eingehüllt zu sein. Überall, auf dem Parkplatz, hier an der Bar, am Strand und sogar auf den Surfbrettern, wie ich jetzt erkannte, hatten sich Menschen in Aliens verwandelt. Die trieben jetzt die restlichen Leute mit vorgehaltener Pistole auf dem Parkplatz zusammen. Was geht hier vor, fragte ich mich. War ich etwa mitten in die Dreharbeiten zu „Invasion aus dem All“ geraten? Aber wo bei allen Göttern war dann Meister Spielberg?

III

Da erhob sich plötzlich ein Donnern, das alle anderen Geräusche verstummen ließ. Aus der Orchestra des Theaters schwebte ein Raumschiff, dessen silberne Außenhaut das Licht der Abendsonne in tausend Facetten wiederspiegelte. Das Schiff war kreisrund und auf seiner Oberseite thronte eine Kuppel, die von einer Vielzahl kleiner halbkugelförmigen Erhebungen am Rande der Scheibe flankiert wurde. An der Unterseite waren vier grellleuchtende Treibwerke zu sehen, die zu pulsieren begannen, als das Schiff knapp oberhalb der Bühne wieder zum Stillstand kam. Beinahe hätte es dabei den armen Augustus vom Sockel gestoßen.

Es war eine fliegende Untertasse, wie hätte es auch anders sein können. Wenn das nicht der Flashback eines Trips nach Amsterdam war, dann war zumindest das Rätsel des schlechten Espressos gelöst. Von einem fischgesichtigen Alien mit Schwimmhäuten an Händen und Füßen konnte man nicht mehr erwarten. Eine der kleinen Halbkugeln des Raumschiffes, die sich jetzt genau unterhalb der Statue befand, war geöffnet und mehrere merkwürdig aussehender Antennen ragten hervor.

Aus dem Donnern war mittlerweile ein leises Sirren geworden und einen Moment war ich völlig fasziniert von diesem Schiff aus einer anderen Welt. Ich dachte an die Sterne und hatte plötzlich Sehnsucht, wegzufliegen und zu fernen Galaxien aufzubrechen. Wie viel Schub diese Triebwerke wohl leisteten? Dagegen konnte man getrost seinen Ferrari in der Garage lassen.

IV

Laute italienische Flüche holten mich auf die Erde zurück. Ein finster drein blickender, dicker Italiener mit Goldkettchen und teurer Uhr hatte den Moment genutzt und eine großkalibrige Waffe gezogen. Mit der versuchte er sich den Weg freizuschießen. Er feuerte auf zwei Aliens, bis das Magazin seines Revolvers leer war. Die zwei Wesen wirkten zwar noch ein Stück bleicher als vorher, waren aber unversehrt geblieben. Der Mann glotzte ungläubig auf seine Waffe. Wie wir alle hatte er die Einschläge vor und neben seinen Zielen gesehen. Dann fiel sein Blick auf die leere Flasche Ramazotti in seiner Hand.

„Merda“, sagte er und schluckte. Einer der beiden Aliens fiel in Ohnmacht. Zwei Balken grellen Lichtes, abgefeuert aus dem Fön eines anderen Außerirdischen, zischten durch die Luft und hüllten unseren Möchtegern Lucky Luke in feuriges Leuchten. Eine Sekunde später war er verdampft, aufgelöst in seine Atome! Angesichts der waffentechnischen Überlegenheit der Aliens beschloss ich, mich vorerst ruhig zu verhalten und erst einmal die weitere Entwicklung abzuwarten. Immerhin brachten die Aliens mit den anderen Leuten vom Strand auch die kleine Blonde mit nach oben.

Eine kräftige italienische Mama war mutiger. In dem Moment, als alle auf den Mafiatypen mit der Knarre geschaut hatten, hatte sie eine Espressokanne genommen. Jetzt schlug sie einem der Aliens die Pistole aus der Hand und prügelte auf ihn ein. Ein sinnloses Unterfangen, doch dann geschah etwas, was nur mir auffiel.

V

Kurz bevor die anderen Aliens die Mama mit vorgehaltener Waffe zwangen, die Espressokanne niederzulegen, schlug sie einem von ihnen den schwarzen Stirnreif vom Kopf. Sofort lief dessen Haut krebsrot an, bildete Blasen und löste sich in kleinen Rauchfäden auf. Ich hörten den Alien nicht schreien, doch er wirkte wie ein Wesen, das von schlimmsten Schmerzen gequält wurde. Seine Kameraden eilten herbei und setzten ihm den Reif schnell wieder auf den Kopf. Das unterbrach offenbar den Vorgang. Dennoch sah der kleine Kerl furchtbar aus und er wurde sofort von zwei Kameraden zum Raumschiff getragen.

Nach einer Weile hatte die Horde kleinwüchsiger Aliens alle Menschen auf dem Parkplatz versammelt. Dort hielten sie uns mit ihren fönartigen Laserpistolen in Schach. Immerhin hatte das Schicksal, heute in Gestalt eines mit Seegras behängten Außerirdischen, die kleine blonde Surferin zu mir gebracht. Sie sah total süß aus, und ich versuchte, sie in ihrem kurzen Surfzeug nicht zu offensichtlich anzustarren. Sie schien verärgert – aber nicht über mich.

„Gut gesurft“, sagte ich.

„Zumindest bis diese Blödis hier kamen.“

„Haben sie dir was getan?“

„Nö. Aber die haben die viel geileren Boards, sonst hätten die mich gar nicht gekriegt.“

Da trat einer der Aliens näher an unsere Gruppe heran und hob die Arme, besser die Flossen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

„Das ist bestimmt der Anführer“, flüsterte ich.

„Wie ätzend“, sagte sie. „Die Typen sehen eh nicht besonders knackig aus und dann auch noch das.“

„Was meinst du?“

Sie guckte dem Alien angewidert auf den Schritt. Was sich dort unter dem merkwürdigen Stück Stoff verbarg, wollte ich lieber gar nicht wissen, sie aber sagte nur: „Ich hasse Slips“.

VI

„Erdlinge“, ertönte da die merkwürdig verzerrte Stimme des Chefaliens aus dem handyähnlichen Ding, das er um den Hals trug.

„Hört mich an. Wir sind aus den Tiefen des Alls zu euch gekommen, damit ihr euer Wissen um die heilige Bräune der Haut mit uns teilen werdet.“

„Was redet der da für’n Scha-wachsinn?“, sagte Mica, so hieß die kleine Surferin nämlich.

„Wir kommen von einem Planeten am anderen Ende der Galaxis und wir waren ursprünglich ein Volk von Meeresbewohnern. Erst vor wenigen hundert Umläufen eurer Sonne sind wir dem Meer entstiegen. Wir begannen unseren Planeten zu industrialisieren und die Vorteile des Lebens an Land zu genießen. Da das Sonnenlicht für unsere Haut jedoch absolut tödlich ist, zogen wir hinaus ins Universum. Um Rat zu holen bei den Völkern, die im Laufe der Zeit gelernt hatten, sich vor der Sonne zu schützen und sich durch Veränderung der Hautfarbe anzupassen. Ihr habt daraus, wie ich sehe, sogar einen Sport gemacht. Daher werdet ihr die Ehre haben, uns an Bord unseres Raumschiffes zu unserem Heimatplaneten zu begleiten. Dort werden die angesehensten unserer Wissenschaftler euch und eure Hilfsmittel, die ihr benützt, untersuchen. So werden wir das Geheimnis eurer Hautanpassung lösen.“

Er deutete auf einen Haufen Plastikflaschen, die gerade von einer anderen Gruppe Aliens in Säcke verpackt wurden. Es war die Sonnencreme aus dem Laden, alle möglichen Sorten.

„Wir wissen, dass auch ihr noch vor zweitausend Sonnenumläufen, die gleiche Hautfarbe hattet wie wir. Und doch seit ihr heute in der Lage der Sonne zu trotzen.“ Er deutete auf eine Reihe von knackig braunen Italienern. „Dieses Wissen sollt ihr mit uns teilen.“

„Hören sie, äh … Signore“, sagte einer der Sonnenanbeter, „wir Menschen haben eine lange Evolution hinter uns, das kann man nicht lernen …“

Der Außerirdische unterbrach ihn mit einem lauten Zischen, das keinen Widerspruch duldete. „Dort ist der Beweis, Erdlinge, das Abbild einer eurer Vorfahren und seine Haut ist so weiß, wie die unsere.“ Er zeigte auf die marmorne Augustusstatue. Verdammt, dachte ich, er weiß nicht, dass die Statuen früher bemalt waren.

VII

Damit war die Katze, oder besser, der Alien aus dem Sack. Auf ein Zeichen des Chefs begannen seine Kameraden nun die Leute mit so etwas wie kombinierten Fuß- und Handschellen zu fesseln, sodass man gerade noch laufen konnte. Auch mir und Mica wurden die Dinger angelegt. Einer der Aliens aktivierte den Schließmechanismus mit einer Art elektronischem Schlüssel, in Form und Größe eines Teelichtes mit blinkenden Sensoren. An der Unterseite des still schwebenden Raumschiffes öffnete sich eine Luke, die langsam zu einer Art Rampe ausgefahren wurde.

„Ich würde ja wirklich gerne mit dir auf Sternenfahrt gehen“, sagte ich zu Mica. „Aber ich glaube, mir passt die übrige Gesellschaft nicht“.

„Geht mir genauso“, antwortete sie, „wir müssen uns schleunigst etwas einfallen lassen“.

Was konnten wir tun? Die Leute wirkten immer noch ungläubig, was mit ihnen geschah. Doch die Ersten setzten sich von ihren Wächtern angetrieben schon in Richtung Raumschiff in Bewegung. Da fiel mir meine Beobachtung von vorhin wieder ein.

„Ich glaube, ich kenne ihren Schwachpunkt. Hast du dir schon mal überlegt, wieso ihnen die Sonne jetzt nichts ausmacht?“ Ich erzählte ihr von der Mama mit der Espressokanne und dem rot angelaufenen Alien.

„Ich glaube, sie werden von einer Art Energieschirm geschützt, deshalb umgibt sie dieses komische blaue Leuchten. Dieser Schirm wird vom Schiff aus aktiviert und von diesen seltsamen Stirnreifen auf die einzelnen Personen übertragen. Siehst du die geöffnete Halbkugel mit den merkwürdigen Antennen unterhalb der Statue?“

„Ja, von dort scheint auch das blaue Leuchten auszugehen.“

„Wenn es uns gelingt, die Zentrale auszuschalten, sind sie der Sonne ausgeliefert und erledigt.“

„Ich weiß nicht“, meinte sie, „warum brauchen sie uns dann überhaupt, wenn sie einen Energieschirm gegen die Sonne haben?“

„Ich vermute, der hat nur eine begrenzte Reichweite und ist nur für wenige Leute einsetzbar, nicht aber für ganze Massen.“ Reine Spekulation, aber was blieb uns anderes übrig.

„Bis dahin schaffst du es aber nie“, sagte sie, „es sei denn, ich kann sie irgendwie ablenken“.

„Wie willst du das machen?“

„Ich weiß schon was“, sagte sie grinsend. „Ich muss nur diese Fesseln hier los werden“.

VIII

Plötzlich fiel ein Schatten auf meine Füße. Vor mir stand der Chefalien und blickte mich an. Hatte er vielleicht etwas mitbekommen? War das unser Ende? Mit einer schnellen Bewegung riss er mir mein Radlertrikot vom Leibe.

„Hihi, du bist ja ganz weiß“, hörte ich Mica neben mir kichern. Ich war am Oberkörper fast so weiß wie die Aliens; nur, so hoffte ich inständig, nicht so hässlich.

„Ich langweil’ mich, wenn ich in der Sonne brate“, sagte ich.

Der Alien wirkte erstaunt. „Der hier scheint eine Sackgasse der Evolution zu sein“, sagte er. „Er bleibt hier. Von mir aus kann er den Erdlingen überliefern, was sich hier zugetragen hat und von unserem Ruhm künden. Macht ihn los.“

Ich, eine Sackgasse der Evolution?! Frechheit, was glaubte dieser Fischkopf denn? Mica schlug sich vor Lachen auf die Oberschenkel, aber ich war plötzlich meine Fesseln los. Die Flippervariante von Lord Vader hatte sich wieder von uns abgewandt und kümmerte sich um die restlichen Leute. Das war die Chance.

Blitzschnell ergriff ich die Flosse unseres Bewachers mit der Waffe. Mit einem Armhebel warf ich ihn zu Boden – dabei musste ich sein Tentakel zweimal gegen den Uhrzeigersinn verdrehen, bis es schließlich klappte – und entriss ihm die Laserpistole. Mica hatte die Situation schon erfasst.

„Den Schlüssel“, rief sie, „schnell“.

Der Alien mit dem Schlüsselsystem stand zwei Schritte neben mir. Verdutzt glotzte er mich an. So fest ich konnte trat ich mit meinem Fuß gegen die Flosse, die das runde Ding festhielt. Es gab ein klatschendes Geräusch und der Schlüssel flog in die Luft. Er stieg höher, drehte sich die Sonne reflektierend um sich selbst und fiel wieder. Genau in Richtung einer weiteren Gruppe von Aliens, die schon ihre Flossen reckten, um das Ding zu fangen.

„Kick ihn zu mir!“, rief Mica.

Ich nahm Anlauf, sprang hoch und kurz bevor eines der Wesen den Schlüssel fangen konnte, beförderte ich ihn mit einem Halbkreistritt zu ihr. Mit einem Hechtsprung fing sie ihn auf, Sekunden später hatte sie ihre Fesseln gelöst.

„Hobbytorwart ist sie also auch noch“, sagte ich zu mir.

„Zum Schirmgenerator!“, rief sie, „ich lenk sie ab“.

IX

Neben der Bar waren einige der Alien-Surfboards zum Trocknen abgestellt worden. Mica stieß einen der Außerirdischen beiseite und schnappte sich eines der Bretter. Damit rannte sie zum Rand der Düne, legte es ab und schlüpfte mit den Füßen in die Vertiefungen an seiner Oberseite, die sich automatisch anpassten. Auch das Brett verwandelte sich, es wurde kleiner, schrumpfte etwa auf die Größe eines Snowboards. Als es fest an ihren Füßen saß, stieß sie sich mit einem lauten „Yippee“ in die Tiefe.

„Hinterher!“ schrie der Chefalien, der sich als erster aus der Erstarrung löste. „Lasst die Fehlentwicklung, aber die da müssen wir kriegen.“

Ein paar der Wesen schnappten sich die übrigen Boards und machten sich an die Verfolgung. Das Ablenkungsmanöver funktionierte, alle starrten wie gebannt auf Mica. Sie hatte inzwischen mehrere Schwünge Vorsprung und raste mit atemberaubendem Tempo die Düne herab. Ein vom Strand heraufeilendes Wesen versuchte, ihr den Weg abzuschneiden. Doch sie riss das Board herum und legte sich mit unglaublicher Schräglage in die Kurve. Dabei berührte ihre Hand den Sand, der in einer glitzernden Wolke zerstob. Die Aliens rasten hinterher.

Also gut, dachte ich, Rock’n Roll! Dann sprintete ich, unbeachtet von den aufgeregten Aliens, zum Raumschiff und Schirmgenerator. Ich lief etwas unterhalb des Weges, der zur Rampe des Schiffes führte, und einige Sträucher boten mir Deckung. Kurz darauf stand ich direkt an der Bühne des Theaters, über mir erhob sich das Raumschiff. Für einen Moment war ich davon so fasziniert, dass ich unfähig war, mich zu rühren. Dann riss ich mich los und begann den Felsen neben dem Schiff hinaufzuklettern, im Gürtel die Laserpistole des Aliens. Irgendwie musste ich den Generator außer Kraft setzen. Der Schweiß lief mir übers Gesicht und ich erreichte schließlich einen Felssims, direkt unter der Statue des ehrwürdigen Augustus. Vor mir schimmerte die Außenhaut des Schiffes in vielen Farben.

Ich registrierte mehrere Dinge auf einmal. Die Aliens hatten trotz des Trubels um Mica mit der Verladung begonnen. Die ersten Menschen standen unmittelbar vor der Rampe zum Schiff. Mica raste in weiten Schwüngen die Düne hinab, ihre Haare wehten im Wind und als die Abendsonne darauf fiel, war sie wie ein Komet. Dann hatte sie das Ende der Düne erreicht. Vor ihr ragte schräg aus dem Sand das Dach eines Surfladens, der in die Düne hineingebaut worden war. Zwei bunte Wimpel bekrönten den Dachfirst an beiden Seiten und flatterten im Wind. Zum Ausweichen oder gar Bremsen war kein Platz mehr und die Aliens waren Mica dicht auf den Fersen. Da war mir so, als blickte sie in meine Richtung, bemerkte, dass ich noch einen Moment länger brauchen würde, und ging tief in die Hocke.

X – Auszug aus den Strandmäuse-Erzählungen

Eine kleine Strandmaus, die von dem ganzen Überfall der Aliens nichts bemerkt hatte, kam gerade durch einen Spalt neben der Vordertür aus dem Laden. Sie war auf dem Weg in ihr Mauseloch, um dort den Sonnenuntergang zu genießen. In dem Surfladen pflegte das Mäuschen ihr Abendbrot zusammenzusuchen, vor allem Essensreste der Besucher. Ab und zu gab es sogar kleine Krümel eines grünen Zeugs zu naschen, von dem einem immer so schön schummrig wurde und die ganze Familie in Lachanfälle ausbrach. Von der kommenden Erscheinung, die sie völlig nüchtern überkam, sollte sie jedoch noch ihren Urenkeln erzählen.

Zuerst hörte sie ein zischendes Geräusch, das immer näher kam und in seiner Lautstärke anzuschwellen begann. Die Maus lies ihr Abendbrot fallen, reckte die Schnauze in die Luft und schnupperte. Da donnerte es plötzlich über ihr, der Laden erbebte und vor Schreck legte der kleine Nager die Pfoten an die Ohren. Eine Woge Sand ergoss sich über das Dach in die Tiefe und als die Maus aufblickte, schien die Zeit für einen Sekundenbruchteil still zu stehen. Sie sah die Silhouette eines Mädchens mit flatternden Haaren und einem spitz zulaufenden Brett an den Füssen, die Arme weit über den Kopf geworfen: Vor der Sonne schwebte, schwarz im Gegenlicht, eine wahnwitzige Sandboarderin. Dann begrub der Sand die Maus unter sich und sie brauchte eine geschlagene Stunde, bis sie sich befreien und atemlos ihre Geschichte erzählen konnte.

XI

Mica schanzte über das Dach, stand die Landung und schoss in die Brandung. Zwei der Aliens sprangen ebenfalls über den Schuppen, aber sie bohrten sich kopfüber in den Sand und blieben regungslos darin stecken.

In der geöffneten Minikuppel knapp unter mir saßen zwei Wesen, die irgendwelche Hebel bedienten. Als sie mich bemerkten, zog ich meine Laserpistole und hoffte dabei so cool auszusehen, wie Harrison Ford in Star Wars.

Natürlich ging es schief. Als die Beiden aus dem Bedienungsstand des Generators herauskletterten und sich langsam von beiden Seiten an mich heranmachten, zielte ich ohne lange zu fackeln auf die Antennen. Doch nichts geschah, denn das Ding hatte keinen Abzug, oder ich erkannte ihn nicht, weil er nicht für menschliche Finger gedacht war. Verdammt! Mein Versuch, eine Surferin zu beeindrucken, scheiterte, weil ich ohne Flossen geboren worden war. Während ich verzweifelt nach einer Art Bedienungsanleitung suchte, kamen die zwei immer näher. Soeben gab der Verladechef den vordersten Leuten das Zeichen, die Rampe zu betreten.

Am Strand waren die Aliens an Mica dran, aber sie trat einem von ihnen zwischen die Beine. Seinen Reaktionen zufolge saßen dort auch bei diesen Wesen die empfindlichen Teile. Die beiden Generatoraufseher standen vor mir und hoben ihre Waffen. Wenn jetzt nichts passierte, war es vorbei. Als mich einer von ihnen an der Schulter packte, sprang ich ihn an, ein Bein am Bauch, eines an seinem Äquivalent zu den menschlichen Kniekehlen und vollführte eine scherenartige Bewegung mit meinen Beinen. Er fiel, schlug hart auf und rührte sich nicht mehr. Dem anderen rammte ich meinen Ellbogen ins Gesicht und beförderte ihn mit einem Tritt vom Sims. Aber wie sollte ich jetzt nur den Generator zerstören?

XII

Da fiel mein Blick auf den alten Augustus. Das Schiff war so positioniert worden, dass sich das Antennenbündel des Schirmgenerators genau unter der Statue befand. Sie zu beschädigen wäre ein Frevel an der Geschichte und an der Kunst. Ich sah meinen Professor schon einen Herzanfall erleiden, falls ich ihm das beichten müsste; doch ich hatte keine andere Wahl. Ich kletterte die letzten Meter nach oben, positionierte mich neben der Statue . Unten am Strand kämpfte Mica immer noch. Sie hatte einen Alien im Würgegriff, tauchte seinen Kopf immer wieder rhythmisch unter Wasser. Das Wesen, das ich vom Sims geworfen hatte, war auf dem Schiff gelandet. Benommen hob es seine Laserpistole und zielte auf mich. Die Sonne war nicht mehr weit vom Horizont.

„Sorry Kumpel“, sagte ich da zu Augustus und eigentlich wollte ich noch einen Spruch an die Aliens loslassen. So was richtig cooles, was Bruce Willis und Arnold Schwarzenegger ihren Gegner immer sagen, bevor sie die entscheidende Kugel abfeuern. Blöderweise fiel mir nichts ein. Also hielt ich einfach die Schnauze und sprang. Ich flog seitlich an Augustus vorbei und verpasste ihm den härtesten Tritt seines und meines Lebens. Dann landete ich mit schmerzendem Fuß am Rande des Simses, hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Ganz langsam senkte sich die Statue. Einen Moment befürchtete ich, der Tritt wäre zu schwach gewesen, dann war der Schwerpunkt gebrochen. Mit einem lauten Knirschen fiel Augustus auf den Schirmgenerator und zertrümmerte die Antennen. Das blaue Flimmern erlosch. Dann geschah einen Moment gar nichts.

Auf einmal aber war die Luft erfüllt von merkwürdigen sirrenden und zischenden Geräuschen – Schmerzensschreie? Die Aliens warfen ihre Waffen weg, rannten wie blind durcheinander und liefen rot an. Wir hatten recht gehabt. Einige versuchten sich in den Schatten der Bäume zu werfen, andere begannen in Richtung ihres Schiffes zu flüchten. Doch es nützte nichts, sie verdampften und verbrannten einfach im Lichte der untergehenden Sonne. Ich sah den Chefalien, wie er plötzlich nach einer riesigen Flasche Sonnencreme griff und den Verschluss öffnete.

„Ob dir das hilft, bezweifle ich“, murmelte ich.

Mit einer schnellen Bewegung schüttete er die Sonnencreme in sich hinein, schluckte verzweifelt. Doch sie schien ihm nicht zu bekommen. Er hielt inne, griff sich an den Hals und hüpfte herum, als wäre er in ein Wespennest gefallen. Ich glaubte, die Marke der Sonnencreme zu erkennen: Piz Buin, Schutzfaktor 50 – benannt nach einem Berg im Silvrettamassiv. Dann explodierte der Außerirdische in einem lauten Knall.

Die Aliens waren fort. Die letzten von ihnen, die nicht verdampft oder explodiert waren, hatten mit letzter Kraft und einem höllischen Sonnenbrand ihr Schiff erreicht und die Triebwerke gezündet. Im Licht der Abendsonne waren sie in den Himmel entschwunden. Ich traf Mica an der Bar, in der Luft hing ein merkwürdiger Geruch von Sonnencreme und, ich glaube, Fischstäbchen.

„Na?“, meinte sie und hatte das Board lässig unter den Arm geklemmt.

„Gut geboardet“, sagte ich.

„Geiles Board, ich glaube, das behalt ich. Übrigens, gut gesprungen.“

Die Aliens waren ein Klacks, jetzt wurde es spannend. Ich lächelte sie an.

„Na, gehen wir noch was trinken?“

Anmerkung

Die Geschichte habe ich vor langer Zeit für eine Freundin geschrieben, ich glaube zu ihrem Geburtstag. Sie war eine begeisterte Surferin und Snowoarderin. Keine Werbung! Es gibt noch andere Sorten Sonnencreme, die aber alle nichts nützen, wenn der Strahlen-Schutzschild deaktiviert wurde. Fotobearbeitung mit Fotojet.