Eine Epidemie im alten Rom und ein Diktator, der einen Nagel einschlägt

Eine Epidemie im alten Rom und ein Diktator, der einen Nagel einschlägt

29. November 2020 0 Von Daniel Bühler
 Eine Epidemie.

In den Jahren 365 bis 363 vor unserer Zeitrechnung wütete in Rom eine Epidemie. Der römische Historiker Livius schrieb um die Zeitwende, dass es sowohl unter der einfachen Bevölkerung als auch der Oberschicht viele Opfer gegeben hatte. Was für eine Krankheit das war, lässt sich heute nicht mehr sagen. Doch für die Römer war klar: Sie hatten den Zorn der Götter auf sich gezogen. Nur so konnten sie sich diese Katastrophe erklären.

Sühne: Frauen, ihr Haar und ein Göttermahl

Die Menschen waren verzweifelt. Weinen und Klagen erfüllten die Straßen und die Häuser der Götter. Frauen warfen sich auf den Stufen der Tempel zu Boden, küssten sie, umschlangen Säulen mit ihren Armen, küssten auch diese. „Am Boden liegend fegten die Mütter die Tempel mit ihren Haaren und flehten um Abwendung des himmlischen Zorns und um ein Ende der Seuche.“

So beschreibt Livius die Reaktionen der Menschen auf eine andere Epidemie. Doch wenn Frauen mit ihren Haaren die Tempelböden (und Altäre) fegen, so ist das eine typische Geste des Bittflehens und der Unterwerfung unter die Götter, die in solchen Krisensituationen immer geäußert wurde.

Zudem veranstaltete man ein sogenanntes Lectisternium, eine Götterbewirtung. Dabei bettete man Götterbildnisse auf Liegen im Freien und setzte ihnen Speisen vor. Dem Historiker Jörg Rüpke zufolge ersetzten oft Strohfiguren, manchmal auch nur Kränze die Kultbilder.

Doch keines dieser Sühnemittel wirkte. Was tun? Da erinnerten sich die alten Leute, dass man einst eine schlimme Epidemie gebannt hatte, indem ein Diktator einen Nagel eingeschlagen hatte.

Ein Konsul ernannte daraufhin auf Anweisung des Senats den Patrizier Lucius Manlius zum Diktator. Manlius schlug einen Nagel ein, vermutlich in den Tempel des höchsten Gottes Jupiter auf dem Kapitol (dies geht aus dem Bericht des Livius nicht ganz klar hervor). Dabei sprach er sicherlich ein Gebet und das Ganze geschah in einem feierlichen Rahmen. Schließlich verschwand die Epidemie.

Ein Diktator und ein Nagel?

Heute fragt man sich: Wofür der Nagel? Und warum ein Diktator? Rom war doch zu dieser Zeit eine Republik.

Der Gedanke dahinter ist, so der Historiker Kurt Latte, die Seuche durch den Nagel festzuhalten, zu fixieren. So kann sie kein Unheil mehr anrichten. Vielleicht ist der Ritus etruskischer Herkunft. Am Tempel der Göttin Nortia in der Etrusker-Stadt Volsinii (Orvieto) praktizierte man laut Livius ein ähnliches Ritual .

Ein altes Gesetz und die Iden des September

Zudem gab es ein uraltes Gesetz aus der Anfangszeit der Republik (Ende des sechsten Jahrhunderts v.u.Z.), das „in altertümlicher Schrift und Sprache abgefasst“ (Livius), an der Wand des Jupitertempels angebracht war. Es besagte, dass jedes Jahr an den Iden des September (der 13.) der Prätor Maximus einen Nagel am Jupiter-Tempel einschlagen solle. Prätor Maximus bedeutet vermutlich einfach so viel wie „oberster Anführer“ und war nicht die Bezeichnung des höchsten Magistrats vor Einführung des Konsulats 367/66 v.u.Z.

Nach Livius diente dies zur Zählung der Jahre, „in jenen Zeiten, in denen die Schrift eine Seltenheit war“. Irgendwann geriet dieses Ritual jedoch außer Brauch. Es muss aber wohl vom dem Nageleinschlag eines Diktators unterschieden werden. Entweder sollte es prophylaktisch die Übel vom Tempel fernhalten, oder sogar positive, göttliche Kräfte herbeirufen und festhalten (so die Historikerin Luciana Aigner Foresti).

Krankheiten festnageln

Es war ein weit verbreiteter Glaube, dass man Krankheiten bzw. einen Dämon, der dahinter steckte, durch Festnageln unschädlich machen konnte. Ein spätantikes Handbuch gegen Reisebeschwerden glaubte ein Heilmittel gegen Epilepsie zu kennen. An der Stelle, an der ein Epileptiker zum ersten Mal gestürzt war und an der sich sein Kopf befunden hatte, sollte man einen Nagel in den Boden einschlagen.

Ähnliche Bräuche waren auch in Deutschland verbreitet, wie ein Blick in das Handbuch des deutschen Aberglaubens zeigt. So schlug man Nägel in Bäume, um Zahnweh zu vertreiben. Fingernägel, Haare und Fetzen von Kleidungsstücken eines Kranken wurden in Bäume verbohrt, um den Kranken zu heilen.

Was hat es mit dem Diktator auf sich?

Notstand

Die Diktatur war ein Notstands-Amt. Es wurde geschaffen für den Fall einer besonderen militärischen Bedrohung von außen, wenn alle Amtsgewalt in einer Person vereinigt werden sollte. Damit war der Diktator den beiden Konsuln übergeordnet, die in der Republik normalerweise die höchste zivile und militärische Amtsgewalt besaßen. Bei gemeinsamen Feldzügen wechselten sich die Konsuln täglich im Oberbefehl ab. Man benötigte also nicht für jeden Krieg einen Diktator, nur bei außergewöhnlicher Gefahr.

Gallier

Zwei Jahre nach Lucius Manlius’ Nageleinschlag herrschte wieder Panik in den Gassen Roms. Die Menschen strömten zum Forum, um zu hören, was die Boten aus dem Norden zu sagen hatten, ob die Gerüchte stimmten. Es ist wahr, so wird es ein Konsul oder der Stadtprätor verkündet haben. Roms größter Feind näherte sich der Stadt: die Gallier. Sechsundzwanzig Jahre zuvor hatten sie die Stadt erobert und waren der Schrecken jedes Römers. Im Senat war man sich einig, ein Diktator musste der Gefahr entgegentreten. Kurz vor Tagesanbruch ernannte der amtierende Konsul den Patrizier Titus Quinctius zum Diktator.

Fußvolk und Reiter

Quinctius bestimmte einen Reiterführer, den Magister Equitum (equus= das Pferd), der ihm untergeben war. Dann legte er das öffentliche Leben still und stellte aus den wehrpflichtigen Bürgern ein Heer auf. Die alte Bezeichnung des Diktators war Magister Populi, das ist der Anführer des (bewaffneten) Fußvolkes (populus=das Volk). Diese Männer, ausgerüstet mit Schild und (Wurf-) Speer, trugen im Gegensatz zur Reiterei die Hauptlast des Kampfes.

Vor dem Abmarsch sprach der Diktator den neu ausgehobenen Soldaten den Fahneneid vor (dictare), daher kommt vermutlich die Bezeichnung dictator. Dann führte er die Legionen aus der Stadt. Er ging dem Heer zu Fuß voran, da er ein Pferd nicht besteigen durfte. Denn dies war einst das Recht der Könige gewesen. Die Römer wollten damit vermutlich deutlich machen, dass der Diktator eben kein König war.

Was geschah, nachdem sich Quinctius und sein Heer dem Kriegerhaufen der Gallier entgegengestellt hatte? Dies erzählt meine Anthologie-Geschichte „Der Ring des Römers“.

Begrenzung

Entscheidend ist, dass das Amt auf maximal sechs Monate begrenzt war. Spätestens nach dieser Zeit musste der Diktator abdanken und im Normalfall tat er das sofort nach Erledigung der Aufgabe, für die er ernannt worden war. Sechs Monate entsprechen der Dauer des Sommerhalbjahres, denn ursprünglich führte man in der Antike nur in dieser Jahreszeit Kriege.

Ein Diktator für Spiele, als Zauderer und für immer

Es gab aber auch andere Aufgaben, für die man einen Diktator ernannte, weil der dafür zuständige Magistrat nicht verfügbar war. Die Quellen nennen u.a. die Abhaltung von Wahlen und die Veranstaltung von Spielen. So soll im September des Jahres 322 v.u.Z. der Diktator Cornelius Arvina bei den römischen Spielen lediglich dazu ernannt worden sein, das Signal für den Start beim Wagenrennen zu geben. Der zuständige Prätor war nämlich erkrankt.

Ein berühmter römischer Diktator war Quintus Fabius Maximus, genannt der Cunctator, der Zauderer. Diesen Beinamen bekam er, weil er im Zweiten Punischen Krieg im Jahr 217 v.u.Z. gegen Hannibal eine hinhaltende Strategie wählte. Er ließ sich von dem Karthager nicht in eine große Feldschlacht verwickeln.

Das letzte Kapitel der römischen Diktatur schlug Gaius Julius Cäsar auf. Der hatte in einem brutalen Bürgerkrieg die Alleinherrschaft über Rom erlangt. Um seine Herrschaft mit dem Mantel des Rechts zu bedecken und auf Dauer zu sichern, führte er ab dem 15. Februar 44 v.u.Z. den Titel dictator perpetuus (auf Lebenszeit). Eine Diktatur auf Lebenszeit verstieß jedoch gegen den Grundgedanken des Amtes. Caesar untergrub damit die (ungeschriebene) Verfassung und erschütterte die Grundfesten der Republik. Einen Monat später, an den Iden des März (der 15.), ermordete eine Gruppe von Verschwörern den Alleinherrscher Cäsar. Danach wurde die Diktatur verboten, Cäsars Erbe Augustus führte die Monarchie auf einer anderen Basis ein.

Der Ehrgeiz des Diktators

Doch schon Lucius Manlius versuchte über 300 Jahre vor Cäsar die Möglichkeiten, die ihm das Amt bot unrechtmäßig auszunützen. Nachdem er den Nagel eingeschlagen hatte, verschwand die Epidemie. Doch Manlius war ehrgeizig. Anstatt zurückzutreten, hob er Soldaten aus, um gegen das Volk der Herniker Krieg zu führen, die etwa 80 Kilometer östlich von Rom lebten. Vermutlich hoffte Manlius auf Ruhm und auf Beute. Man kämpfte in dieser Zeit oft um Ackerland, manchmal auch nur um Viehherden.

Doch die Menschen hatte gerade eine Epidemie überstanden. Sie wollte nicht für einen Diktator in die Schlacht ziehen, der doch gar nicht mehr im Amt sein sollte. Aber Manlius ließ Bürger, die sich nicht in die Legionen einziehen lassen wollten, auspeitschen. Schließlich schritten die Volkstribune ein und zwangen ihn zum Rücktritt. Im nächsten Jahr bedrohte einer der Tribune Manlius mit einer Anklage – auch weil der Diktator seinen Sohn ebenfalls schlecht behandelt hatte.

Der Sohn des Diktators – eine Heldengeschichte?

Was ein Jahr später mit Titus Manlius, Lucius’ Sohn, geschah und wofür er berühmt und gefürchtet wurde, steht ebenfalls in meiner Anthologie-Geschichte „Der Ring des Römers“.