Unheimlich zu Ostern

Unheimlich zu Ostern

9. April 2023 0 Von Katharina Maier

Wirklich, wirklich, wirklich, ich will nicht implizieren, das Ostergeschehen sei unheimlich! Das finde ich nämlich ganz und gar nicht. In der Ostergeschichte geht es um Leben und um das ewige Ja und um Angstlosigkeit. In gewisser Weise geht es um das genaue Gegenteil des Unheimlichen. Deswegen möchte ich euch zum Einstieg auch von Herzen so richtig frohe Ostern wünschen – mit vielen Eiern, viel Farbe, viel Sonnenschein und so richtig viel Frühling.

Doch das Unheimliche beschäftigt mich gerade, da ich einen Schreibworkshop zu diesem Thema gegeben habe. Und natürlich durften/mussten die Teilnehmer*innen auch unheimliche Texte schreiben. Ich hatte mir dazu Schreibimpulse ausgedacht und bei zweien davon auch selbst mitgemacht. Das Ergebnis findet ihr hier!

Eines kann ich schon vorwegnehmen: Anscheinend finde ich Licht, das sich in Dingen bricht, so richtig unheimlich!

Das Unheimliche und das Grauen in uns Selbst

angelehnt an Freud

Grundlage des Workshops war die Idee, dass das Unheimliche eigentlich aus dem Vertrauten entspringt. Dieser Gedanke war wiederum inspiriert von Sigmund Freud, dessen Verständnis vom Unheimlichen man folgendermaßen zusammenfassen kann:

Das Unheimliche kommt eigentlich aus uns selbst heraus. Es ist etwas, das uns zutiefst zu eigen ist. Es sind Phänomene der menschlichen Existenz oder Eigenschaften an uns selbst, die uns nicht behagen. Deshalb haben wir sie nach außen projiziert und „fremd“ gemacht.

„Unheimlich“ ist ein ganz eigenes Gefühl, weil es auf etwas reagiert, was von außen kommt, aber in Wahrheit etwas tief, tief in uns anspricht, was uns an uns selbst nicht gefällt. „Unheimlich“ ist etwas anderes als „gefährlich“. Etwas, das von außen kommt, kann eine Gefahr darstellen. Aber es ist nur „unheimlich“, wenn es zu etwas spricht, das aus uns selbst kommt.

Allerdings wird das „Unheimliche“ oft auf etwas übertragen, das für uns gefährlich ist oder für unsere Verfahren gefährlich war (ein nächtlicher Wald). Es kann aber auch auf etwas völlig Harmloses projiziert werden (schwarze Katzen). Oder die Gefahr wird durch das Unheimliche extrem überzeichnet oder verzerrt (Fledermäuse werden zu Vampiren).

Unheimlicher Schreibimpuls: Das Fremde im Vertrauten

Überlegen Sie sich einen vertrauten Ort oder ein vertrautes Ding. Welcher „Horror“ könnte sich dahinter verbergen? Beschreiben Sie das vertraute Element. Versuchen Sie, es Schritt für Schritt zu verfremden. Wird es dadurch unheimlich?

Die Kette an der Wand

Die Kette glitzert im späten Licht. Sie ist aus blauen Steinen gemacht oder vielleicht auch aus Glas. Geschliffenes blaues Glas, das das Licht reflektiert wie ein Spiegel, wenn es im richtigen Winkel auftrifft. Die Steine der Kette zwinkern ihr zu. Das ist natürlich nur Einbildung. Und doch hat sie das Gefühl, angesehen zu werden.

Je länger sie hinschaut, desto mehr zieht dieser vielfache Blick sie in ihren Bann. Sie macht einen Schritt auf die Kette zu, die von einem Nagel hängt, der in eine weiße Wand eingeschlagen ist. Die Kettenaugen zwinkern. Nein, das Licht bricht sich in ihnen. Es ist nur das Licht, das die gläsernen Steine in blauen Schimmern an die weiße Wand werfen. Sie sehen aus wie Flecken blauer Farbe, nein, wie Tränen sehen sie aus. Tränen, die in langen Schlieren die Wand hinunterlaufen. Das Blau zerfließt, frisst sich in das Weiß hinein, scheint es zu verschlingen.

Sie macht einen Schritt zurück, sucht mit dem Blick nach der Kette. Einen Moment lang findet sie sie nicht vor dem pulsierenden Blau. Wo ist die Kette? Dann entdeckt sie einen fleischigen Strang, der vor der blauen Wand hin und her baumelt. Auge um Auge hängt daran, blaue Augen, deren strahlende Iris fast den gesamten Augapfel einnimmt. Lange Wimpern rahmen sie ein, dünn und schwarz wie Spinnenbeine. Jedes Auge ist von ihnen umgeben wie von einem Kranz. Die blauen Augen zwinkern ihr zu, mal das eine, mal das andere, in einem willkürlichen, unerfindlichen Rhythmus.

Sie starrt und starrt. Und dann sieht die blaue Wand sie an, ein einziges, riesiges Auge, dessen blaue Iris fast das Weiß verschlingt. Wimpern wie schwarze Tentakel rahmen es ein. Und dann blinzelt es. Ganz langsam und nur ein einziges Mal.

Wenn Vertrautes verfällt und sich verfremdet, dann wird es schnell unheimlich!

Noch ein unheimlicher Schreibimpuls: Entwicklung einer Bedrohung

Eine Bedrohung lässt sich nach einem bestimmten Plot-Muster entwickeln. Was dieses Plotmuster war, wird an dieser Stelle allerdings nicht verraten. Nur so viel sei gesagt: Es galt, sich an 13 Schritten entlangzuarbeiten, bis zu dem Punkt, an dem sich die Bedrohung in der Geschichte manifestiert. Denn dann geht eine unheimliche Geschichte so richtig los …

Auf der Straße

Das Abendlicht bricht sich in den kleinen, kreisrunden Fensterschreiben, verbirgt, was sich dahinter befindet. Sie ist schon x-mal an diesem Haus vorbeigelaufen. Es ist rot und die Fugen zwischen den Backsteinen sind mit weißer Farbe nachgezeichnet. Hässlich sieht das aus, aber die runden Fenster ziehen ihren Blick auf sich. Das dicke Glas zerstreut das Licht in alle Farben des Regenbogens und wirft es auf den rissigen Gehsteig zurück. Es spiegelt sich in einer Pfütze wie ein Ölfilm. Ein kleines Kind, vielleicht ein Mädchen, vielleicht ein Junge, bleibt neben der Pfütze stehen.

„Gleich springt es hinein, mit beiden Füßen“, denkt sie sich im Vorbeigehen. Doch das Kind lässt sich vor der Pfütze auf alle Viere fallen und taucht das komplette Gesicht ins Wasser.

Was? Sie bleibt stehen. Das Kind kniet vor der Pfütze und sein ganzer Kopf verschwindet darin, nicht nur das Gesicht.

Das kann doch nicht sein. Der Gehsteig hat tiefe Risse, aber keine Schlaglöcher, in denen ein ganzer Kinderkopf versinken könnte. Sie blickt sich um. Die Straße ist menschenleer. Keine Eltern oder Großeltern, die panisch herbeistürmen, um den Kinderkopf aus der Pfütze zu ziehen. Die Stadt ist klein, aber nie leer. Vorher ist es ihr nicht aufgefallen, aber es steht kein Auto am Straßenrand. Hier parken immer Autos. Es nervt sie manchmal zu Tode. Aber jetzt? Vor ihr die leere Straße, die in der Sinne glüht, gesäumt von grauen Häusern, bis auf dieses eine rote, in dessen Fenstern sich das Licht bricht und eine Regenbogenpfütze auf den Asphalt spuckt. In die ein Kind seinen ganzen Kopf getaucht hat.

Sie sollte etwas tun.

Bevor sie sich rühren kann, geht die Tür des roten Hauses auf und ein sehr dünner Mann in einem sehr schwarzen Anzug tritt heraus. Er beugt sich zu dem Kind hinunter, und sie glaubt, dass er es herausziehen wird, aber ehe sie sich versieht, packt er den ganzen kleinen Kinderkörper und schiebt es dem Köpfchen hinterher in die Pfütze hinein. Das Kind verschwindet spurlos.

Fazit

Es hat viel Spaß gemacht, sich mit dem Unheimlichen auseinanderzusetzen. Mein primärer Erzählmodus wird zwar immer ein anderer sein und vielleicht merkt man den Texten auch an, dass ich mir dieses Pflaster nicht ganz so vertraut ist. Aber ich habe selbst viel gelernt und kann nur empfehlen, sich mal daran zu versuchen, das Alltägliche zu verfremden und unheimlich zu machen. Eine tolle Fingerübung für jeden und jede, die gerne schreiben!

Bis zum nächsten Mal!