Unser Sommer-Wir

Unser Sommer-Wir

17. April 2022 0 Von Daniel Bühler

Hey, weißt Du noch? Du nanntest es in deiner fabelhaft-poetischen Ader unser Sommer-Wir. Obwohl es doch eher ein Spätsommer/Herbst-Wir war. Aber mit der Chronologie hast Du es ja nicht so. Irgendwann kam dann der Winter, die Kälte sprengte das Wir und machte es zu ich da und Du dort.

Weißt Du noch? Ich und Du … äh, Du und ich, Wir waren nachts um halb zwölf in der Wertach baden und nur ich hatte eine Badehose dabei – und Kontaktlinsen, aber ich hab ja nicht geguckt. Also, … erstmal.

Wir telefonierten stundenlang und ich fühlte mich in deiner Stimme so geborgen. Wenn wir unsere Dialoge aufgenommen hätten, könnten wir unseren eigenen Nordwind schreiben – weil so gute Dialoge gibt es im echten Leben nicht … oder doch? Und wenn ich einen guten Spruch machte, hast Du so lauthals gelacht, dass ich es heute noch höre. Wir lasen uns am Telefon die fabelhaftesten Geschichten vor, einmal sieben Stunden und fünfzig Minuten, und wir hörten nur auf, weil es morgens zwanzig vor vier war.

Ich sagte Höhöhö, Du, des is ned in Ordnung, ich, Entschuldige, Lucy und Du meintest, damit würdest Du mir ab jetzt alles verzeihen müssen. Und was Du für Leute kennst! Happy you, happy me; und happy Wir.

Du hast mich nachts um halb drei mit dem Fahrrad besucht, weil es mir nicht gut ging, obwohl Du um acht aufstehen musstest. Dann hat keiner geschlafen, weil ich so … atemlos war.

Du hast dich an meiner Schulter ausgeweint und ich hab gefragt, ob ich dich in den Arm nehmen darf.

An Silvester war ich um halb neun mit Kaffee bei dir und Du sagtest: überzeugender Auftritt. Im April stand ich morgens schon um halb sechs vor deiner Tür, direkt nach der Ausgangssperre, und Du meintest nur, du bist so ein Spinner.

Mit dir konnte ich lachen, vor dir weinen und mit dir streiten. Wir haben gekämpft und gestritten, weil wir unsere wunden Punkte getroffen haben. Sind aneinander verrückt geworden, und haben uns am erloschenen Feuer angeschrien: Lieb du mich doch endlich! Freu du dich doch einmal!

Konflikt, Konflikt, dazwischen Tanzvideos und alles voll pathetisch, Alda.

Ich vergaß nichts – außer dem, was Du so sagst, und den Punkt in der Geschichte von Emmi und Leo. Du sagtest tübbisch! und ich mit ü und Doppel-B.

Wir haben gekocht und frühen Wein getrunken, auch Glühwein, Bier und Baby-Radler; hatten Besuch von Bibern und Igeln und dem Mäuseexpress Schnupperauge. Haben Gitarre gespielt, Du gesungen und ich gekrächzt. Wir waren Zähneputzen – drei Minuten handyhandgestoppt. Als ich und die Gitarre fragten, ob Du weißt, wie viele Sternlein stehen, hab ich mich fast nicht im Ton vergriffen; nur Du hast ab und zu genuschelt und ich ins Mikro gekeucht.

Unsere Klamotten stanken nach Lagerfeuer, aber hey, wir sagten irgendwann, du riechst ja gut. Fließt denn die Wertach ewig? Es sieht mal wieder nach Regen aus. Tübbisch!

Und wie Du im Moment aufgehen konntest; ein seliges Im-Anfang-war-der-Tanz-und-der-Tanz-war-bei-mir-und-ich-bin-der-Tanz-Einssein mit der Welt. Das hätte ich auch gern gekonnt.

Es gab selbstbemalte goldene Schallplatten und selbstgestrickte rot-grün-weiße Socken. Magische Kalendersprüche, Umarmungen von Dir, Atemnot und Schlaflosigkeit im Ghetto bei mir. Einen Apfel für die schönste Seele und eine Geschichte, in der sich am Schluss alle lieb haben – und Du mich, wie Du mir danach schriebst.

Wir tanzten mit Karate, der Herr Rhythmusgitarrist verpasste den Einsatz, Du sangst von deinem blauen Himmel – und auch dem burning man war so heiß. Ich war der Whaaat?-Dude und endlich einer deiner Menschen; Du die Wuschelfrech, die Queen und, hey Baby!, auch das Schätzchen.

Es gab Yoga per Bildschirm auf drei oder auf drei und dann? und als wir uns minutenlang über Videotelefonie nur anschauten, da konnte ich nicht anders als unser Wir zu fotografieren.

Dein Kuss auf meiner Wange hat noch tagelang gekribbelt und geleuchtet, ließ sich nicht mehr abwaschen und ich habe nichts interpretiert – obwohl das doch mein Job ist. Nur gewünscht, ja, das habe ich.

Wir waren ehrlich, ich manchmal ängstlich und Du mir so vertraut. Wir haben uns getragen und verunsichert, gewärmt und uns doch allein gelassen. Ich war dreimal da und dann doch nicht. Du (er)kanntest mich, sagtest mir oft was Sache ist – und ich dazu, Du hast ja recht. Und doch waren wir uns nicht gut genug. Du fragtest dann, bist du traurig? Wo ich doch glücklich sein sollte. Wie das passieren konnte? Ich weiß es nicht; vielleicht war es eine Lawine im Weinberg. Doch wir haben beide unser Bestes versucht.

Es war so schön, dich im Arm zu halten. So schön, dich zu küssen. Ich habe es so gefeiert und es Dir doch nicht gezeigt. Wo ist die Leichtigkeit hin? Was hat sie endgültig hinweg gefegt? Die Berührung unserer Lippen und Zungen spüre ich noch heute.

Ich liebte zuerst nicht deine Frisur und da warst Du so frisiert … äh pikiert. Aber ich finde dich und deine Seele wunderschön.

Du schriebst an Silvester, „Danke, dass wir im letzten Jahr so viel geteilt haben und so viel tanzende Stern- und Lesestunden hatten!“ Ich antwortete: „In der Zeit, die ich mit dir teile, sind die Sterne heller, die Bücher poetischer und unser Seelentanz ist enger“.

Ich wollte mehr, Du nicht. Jetzt sind Wir weg und meine Tränen sind wie der Regen im Himmel über der Wertach.

Hey, weißt Du noch?

Wir waren so tübbisch Wir.

Die Wertach im Spätsommer/Herbst
Die Wertach im Spätsommer/Herbst