Handysüchtig

Handysüchtig

26. November 2023 1 Von Christine M. Brella

„Schön war’s mit euch“, tippe ich mit kalten Fingern und will gerade mein Hörbuch starten und das Handy weg stecken, da fängt es an zu klingeln.

Ich grinse mein Baby in der Trage an, um es bei Laune zu halten und laufe mit hopsendem Schritt weiter. Mittlerweile haben wir den Wald verlassen. Nur wenige Autos fahren an uns vorbei, da die Straße weiter vorne gesperrt ist. Auch auf dem Fahrradweg ist der Teer an vielen Stellen aufgerissen und so wechseln wir immer wieder von der Fahrbahn auf den Radweg und zurück. Dabei navigiere ich um Pfützen und matschige Rillen auf dem Rasenstreifen dazwischen, damit sich der kinderlose Kinderwagen nicht fest fährt. Trotz frostigen Temperaturen haben wir schon über zwei Stunden Waldfahrt hinter uns und Kindes Geduld nähert sich sicher und gar nicht langsam dem Ende. In so einer Situation hilft nur die Trage. Zumindest kurz.

Mit der freien Hand halte ich das Telefon ans Ohr. „Hallo?“

„Ah, hallo! Gut, dass ich dich erwische! Hast du mal 5 Minuten?“

„5 Minuten geht – ich sehe schon das Ortsschild und bald sind wir daheim.“

„Du kannst Du mir den Link mit euren Hochzeitsfotos noch per E-Mail schicken? Das wäre super!“

„Schreib mir doch einfach kurz deine Mailadresse per WhatsApp. Sehen wir uns …“

Der Rest des Satzes geht in Geheul unter. Wenn Kind schon zwei Stunden mit Mama durch die Kälte marschiert, will es wenigstens die volle Aufmerksamkeit.

„Wir sehen uns!“, rufe ich den Hörer, stecke das Smartphone in die Manteltasche, schiebe mir kalte Babyfinger unter die Achseln zum Wärmen und stimme ein Lied an.

Mit „1, 2, 3 im Sauseschritt“, hopsend, kinderwagenschiebend und matschlöcherausweichend erreichen Kind und ich kurz danach unsere Haustüre. Wir sind beide erleichtert. Jetzt nur noch den Kinderwagen im Schuppen verstauen; Kind und Kindesgepäck (was man halt so braucht für einen kurzen Ausflug: Notfallkekse, Wasserflasche, Regenschutz, Spielsachen, Taschentücher, Spucktücher, Kopfhörer, Schlüssel, Decke, etc.) ins Haus schaffen; Baby ausziehen; Baby beschäftigen; Mama ausziehen. Ob bei WhatsApp wohl eine Nachricht für mich wartet?

Ich greife in meine Manteltasche – und erstarre. Sie ist leer! Wo ist mein Handy? Hektisch sehe ich mich um. Habe ich es ganz automatisch schon herausgeholt? Am Tisch liegt es nicht. Mit klopfendem Herzen greife ich zum Festnetztelefon, rufe meine Nummer an und lausche. Nichts. Der Anruf geht durch, aber ich höre kein Klingeln. Ich drücke das Kind der Schwiegermutter in den Arm und haste in den Schuppen; taste alle Taschen ab; wieder nichts.

Während dem Mittagessen kann ich mich kaum auf die Gespräche konzentrieren. Was wenn ich das Handy nicht mehr finde? Was wenn ein Auto drüber gefahren ist? Meine Gedanken hüpfen wie Gummibälle von einer wertvollen App zur nächsten. Die Fotos vom Kind. Meine Kontakte. Mein Kalender. WhatsApp und Signal – wie soll ich ohne die beiden Apps Kontakt halten und mich mit anderen treffen? Gerade jetzt in der Elternzeit sind sie so wichtig für mich geworden. Meine Banking App. PayPal. Instagram. Kauflandcard.

Nach dem Essen lasse ich das Kind bei der Schwiegermutter und renne den Weg zurück. Zumindest renne ich ungefähr 20 Meter, dann wechsle ich zu schnellem Gehen, weil die kalte Luft dann doch ganz schön in der Lunge brennt. Mein Blick klebt auf dem Weg. Immer wieder rufe ich mit einem geliehenen Handy meine Nummer an. Viel zu schnell erreiche ich den Abzweig in den Wald. Hier habe ich den Anruf entgegen genommen. Hier hatte ich das Handy noch. Ich nehme mir Zeit und lasse meinen Blick über den Boden schweifen. Gefrorenes Gras, Teer, Randstein – eigentlich nicht viele Versteckmöglichkeiten für jedes noch so smarte Phone.

Auf dem Rückweg rufe ich wieder und wieder an. Wenn die Mailbox dran geht, wähle ich sofort erneut. Jetzt ist es mir egal, dass ich den Akku strapaziere. Wenn ich es jetzt nicht finde, sinkt meine Chance rapide! Da endlich höre ich in der Ferne ein leises Piepen. Ich atme auf, werde schneller und rufe wieder an.

„Guten Tag, Sie sind verbunden mit der Mailbox …“

Abrupt bleibe ich stehen und starre ungläubig auf das Display. Nein! Nicht ausgerechnet jetzt! Mein Herz sinkt mir in den Magen und ich haste in die Richtung, aus der ich das Piepen gehört habe. Der Weg bleibt genauso leer wie beim ersten Mal. Am Waldrand zwitschern ein paar Vögel. Habe ich die vielleicht gehört?

„Und?“, fragt meine Schwiegermutter, als ich nach einer halben Stunde wieder heim komme.

„Nichts.“ Mutlos schüttle ich den Kopf.

Ich spiele mit dem Kind, danach das übliche Programm aus wickeln, füttern, singen, Bilderbuch lesen. Als die Kleine schläft, ziehe ich das zweite Mal los. Dieses Mal bin ich mit einem Stock ausgestattet und möchte mir etwas mehr Zeit nehmen. Der Weg ist genauso grau und leer wie beim letzten Suchtrip. Doch ich will nichts unversucht lassen und stochere wenig überzeugt in Laubhäufchen und Pfützchen. Dabei versuche ich, nicht zu verwirrt drein zusehen, vor allem weil jetzt Arbeiter auf der Baustelle sind.

„Vermissen Sie ein Smartphone?“ Ein Bauarbeiter kommt auf mich zu.

Perplex starre ich ihn an. Dann fange ich an, zu strahlen. „Ja?“

„Sie sahen so aus, als würden Sie was suchen. Da sind gerade drei Jugendliche vorbei gekommen. Die haben wohl eins gefunden und gefragt, ob es uns gehört. Angeblich haben Sie es da hinten bei der Baustelle hingelegt.“

Wir wechseln einen ratlosen Blick. Immerhin zieht sich „die Baustelle“ über die ganze Straße bis zum Nachbarsort. Trotzdem bedanke ich mich und laufe mit neuem Mut weiter. Beim Kreisverkehr hat der Bauarbeiter vermutet und versprochen, ebenfalls die Augen aufzuhalten. Jetzt da ich weiß, dass jemand es in der Hand gehabt hat, achte ich auch auf höhere Stellen wie Stromkästen und Streugutkisten. Doch das Ergebnis bleibt das selbe.

Eine Möglichkeit bleibt mir noch. Ich haste nach hause und hole mein Fahrrad. Mittlerweile habe ich völlig mein Zeitgefühl verloren. Vielleicht hätte ich auch diesmal ein Handy ausleihen sollen, dann könnte ich jetzt der Schwiegermutter Bescheid geben, dass es noch etwas dauert. Gefühlt wird es schon ein bisschen dämmrig. Bei der Baustelle versichern mir mehrere Arbeiter, dass sie auch nichts gefunden haben und so trete ich in die Pedale. Irgendwie habe ich das Gefühl, endlich etwas Konstruktives zu tun, auch wenn ich wenig Hoffnung habe. Mittlerweile ist schon zu viel Zeit vergangen. Im Nachbarort halte ich nach drei Jugendlichen Ausschau. Niemand ist auf der Straße bis auf die dortigen Bauarbeiter. Auch sie haben keine Jugendlichen gesehen und ich muss mir eingestehen: Mehr kann ich heute nicht erreichen.

Am Abend stehe ich der stillen Küche und erledige bedrückt den Abwasch. Mein Hörbuch fehlt mir am meisten, stelle ich überrascht fest. Ohne Hörbuch werden aus wundervollen Stunden, die nur mir gehören, verschwendete Stunden. Es fehlt mir so sehr, dass ich den CD-Player und ein paar Audio-CDs ausgrabe, aber es ist einfach nicht das selbe. Die Auswahl ist begrenzt und wenn ich den Raum wechsle, ist es erstaunlich aufwendig, den CD-Player mitzunehmen, denn er hängt am Stromkabel.

Wie ich am nächsten Tag wohl ohne Navigation in die Stadt finden werde? Gut, ich war schon ein paar Mal da, aber woher soll ich denn wissen wie das Wetter wird und ob es einen Stau gibt? Am Ende verpasse ich die anderen, weil sie über WhatsApp einen anderen Treffpunkt oder eine andere Zeit ausgemacht haben.

Morgen werde ich schon irgendwie überstehen, doch ich brauche einen Plan! Ein Gedanke setzt sich in meinem Gehirn fest: Die ersten vierundzwanzig Stunden sind entscheidend. Zumindest sagen die das immer im Krimi. Das erste Mal, muss ich über die ganze Situation schmunzeln. Immerhin geht es ja „nur“ um einen Gegenstand. Morgen werde ich nochmal suchen und danach beim Fundbüro vorbei fahren.

Und wenn niemand es findet? Im Grunde kann fast alles ersetzt werden. Das Handy selbst, die Sim-Karte und damit WhatsApp und Signal, die Bank-App und sogar die Fotos. Die letzte Sicherung ist zum Glück noch nicht lange her und die schönsten teile ich eh jeden Abend mit der Familie. Bis das neue Handy da ist, kann ich für meine Hörbücher ein altes, ausgemustertes nutzen. Die Fitness-App werde ich nicht weiter vermissen, gestehe ich mir ein und muss das erste Mal wieder grinsen. Ein paar Tage werde ich schon irgendwie überbrücken können. Vielleicht ist eine kleine Medienauszeit genau das, was ich gerade brauche.

Das Handy taucht auch am nächsten und übernächsten Tag nicht auf. Ich fahre noch mehrmals an der Baustelle vorbei, rufe beim Fundbüro an (nichts) und wähle meine Nummer (unverändert die Mailbox). Am Ende gebe ich auf. Jetzt ist es fünf Tage her, seit ich das Smartphone verloren habe. Fünf Tage mit Regen, Schnee und Frost. Selbst wenn es nach all der Zeit wieder auftaucht, kann es das nicht überlebt haben. Da klingelt unser Festnetzanschluss. Am anderen Ende ist meine Mutter.

„Du! Ich habe gerade halb automatisch zuerst auf Deinem Handy angerufen. Und da ist ein Jugendlicher hingegangen! Die haben gesagt, sie haben es schon vor ein paar Tagen gefunden, aber erst heute die Zeit gefunden, es aufzuladen. Morgen hätten sie es zum Fundbüro gebracht. Wenn Du willst, kannst Du es jetzt sofort abholen.“

Entgeistert starre ich auf das Telefon. Dann fallen alle Sorgen der letzten Tage von mir ab und ich strahle wie eine St. Martinslaterne. „Wo muss ich hinkommen?“

Anmerkung 1 der Autorin: Nach einem wahren Fall.

Anmerkung 2 der Autorin: Ursprünglich wollte ich das Happy End so oder so ähnlich schreiben, sozusagen als versöhnlichen Abschied von meinem Handy. Dann ist es genau so eingetreten.