Philosophenhände – Eine Schreibanregung, drei Geschichten

Philosophenhände – Eine Schreibanregung, drei Geschichten

2. Februar 2020 1 Von Katharina Maier

Heute gibt’s gleich drei Geschichten von drei Schreibern und Sammlern für euch! Christine Schirm, Luna Day und ich haben jede über dieselbe Schreibanregung einen Text verfasst – über die Hände eines Philosophen.

Philosophen im Schreib-Workshop

Manchmal begegnen wir Schreiber und Sammler uns auch in Schreibworkshops. Und manchmal halte ich diese Workshops selbst (hust *self-promotion* hust).  So auch am 25. Januar 2020: ein Workshop zum Thema „Licht und Schatten“. Und weil Licht auch immer mit Aufklärung zu tun hat und Aufklärung mit Philosophen, hatte ich mir eine Übung ausgedacht, die mir selbst besonders gut gefallen hat:

  1. Setzt euch in Zweierpaaren zusammen. Beschreibt die Hände eures Gegenübers! Ihr dürft euch dabei auch Fragen stellen.
  2. Die Hände, die ihr beschrieben habt, werden zu den Händen eines Philosophen. Dieser Philosoph/diese Philosophin kann eine bekannte/historische Persönlichkeit sein oder nicht. Schreibt, ausgehend von den Händen, eine kurze Geschichte über diesen Philosophen, beginnend mit einem Blick auf die Hände und was er/sie damit tut.

Dieser Schreibanregung haben Christine, Luna und ich uns gestellt. Innerhalb von 30 Minuten schrieb jede von uns eine Geschichte. Die Hände, die die Grundlage für unsere Texte bildeten, gehörten nicht Schreibern und Sammlern. 😉

Die Texte, die dabei entstanden sind, stellen wir euch nun vor. Viel Spaß beim Lesen!

Christine Schirm: Philosophenhände

Ich reichte ihm die Hand und staunte über die Wärme und Zerbrechlichkeit, die von der seinen ausging. Die bewegten Jahre hatten Furchen gegraben und die Adern hervortreten lassen, doch die langen Finger waren weich, beweglich und sauber. Echte Schreibtischhände.

„Setzen Sie sich doch“, forderte er mich auf und deutete auf den Platz vor sich. Suchend sah ich mich um und ließ mich schließlich umständlich im Schneidersitz im Staub vor seiner Tonne nieder. Er kletterte flugs hinein und nahm mir gegenüber Platz.

„Was tut einer wie Sie hier draußen?“, fragte ich nach einigem Zögern. „Sie sind doch nicht gemacht für dieses Leben.“

„Wissen Sie, für einen wie mich, der schon so viel erlebt hat, so viel gelernt hat, so viel vergessen hat, so viel gewonnen hat, so viel verloren hat, wird Besitz irgendwann zu einer Nebensächlichkeit.“

Jede seiner Aussagen begleitete er mit einer enthusiastischen Geste.

„Irgendwann wird all das Zeug, das man um sich anhäuft, zu einer Belastung. Neue Kleidung immer nur in den Schrank pressen, weil man sich von der alten nicht trennen kann. Jeden Tag die gleiche Schüssel spülen. Jede Woche das Haus saugen. Jedes Jahr den Christbaumschmuck aus dem Keller holen und den ganzen Plunder dann wieder für das nächste Jahr verstauen, Tupperpartys, das neuste Angebot Topfsets bei Norma – wer braucht denn immer gleich ein ganzes Set? – Schuhe für die Arbeit, für daheim, für den Garten, für den Schnee, für den Strand, für zum Skifahren, für Empfänge, für zum Tauchen, für die Turnhalle.

Irgendwann erstickt man in dem ganzen Zeug, das einem die Zeit wegfrisst, das man verstauen und in Stand halten muss. Bei meinem letzten Umzug war es dann soweit. Ich wollte mich verkleinern und musste mich damit auseinandersetzen, was ich wirklich brauche. Erst war es schwer, sich von der modischen Christbaumdekoration und den Skistiefeln und dem Perserteppich meiner Oma zu trennen. Doch irgendwann merkte ich, dass es mir leichter ums Herz wurde, je mehr ich los wurde von all dem Ballast. Am Ende ist einfach nichts mehr übrig geblieben – und ich bin hier gelandet.“

Er deutete mit dem Arm um sich, auf die harte, leere Tonne.

„Fehlt Ihnen denn nichts? Es muss doch unerträglich sein, so zu wohnen. Kann ich irgendetwas tun, um Ihnen das Leben etwas leichter zu machen?“

Er machte eine energische Geste, als würde er einen unsichtbaren Vorhang zur Seite schieben. „Gehen Sie mir bitte einfach aus der Sonne.“

 

Luna Day: Philosophen Traum

Mein Name tut nichts zur Sache, meine Begabung interessiert die meisten. Warum? Ich schreibe und kläre auf, in Gedicht, Text und Bild.

Einen Traum nennen viele es, doch ich denke das nicht mehr.

Meine Hände sind vom Alter gegerbt, die Finger gezeichnet vom Schreiben und Tragen. Weit bin ich gereist, um viel zu erleben, was ich wiedergeben kann.

Doch ich bin alt geworden, die Zeit hat Spuren hinterlassen. Mein Alltag bestimmt nicht mehr der Stift, der die Kerbung an meinem Mittelfinger zu Tage führte. Na ja, den Stift halte ich immer noch, aber eher zum Entspannen, beim Malen. Es ist irgendwie genauso beruhigend, wie das Arbeiten im Garten. Trotz meines Alters habe ich immer noch Kraft in meinem Griff, das zeigt auch die Kerbe, die rötlicher schimmert als der Rest meiner Hand. Sicherlich mag die Wärme auch daran liegen, wer kennt das nicht?

Die Zeit verrinnt, wie der Tropfen, der sich aus dem Wasserhahn löst und in die Tiefe gleitet. Wie viel Zeit bleibt einem noch, um seinen Traum zu erfüllen? Sollte man dies überhaupt tun?

Ist ein Traum nicht da, um es nicht zu haben? Oder sehnen wir uns dann nach einer anderen Zeit, einem anderen Traum?

Vielleicht ist es auch gar nicht unser Wunsch. Werden wir nicht von irgendetwas beeinflusst?

Wann sind wir wirklich wir, oder sind wir das gar nicht?

Wisse, was kommt, dachte ich einst, jetzt blicke ich doch lieber zurück. Das ist doch menschlich, oder nicht?

 

Katharina Maier: Irgendwann war alles Philosophie

Anmerkung der Autorin: Alle Ähnlichkeiten zu historischen Personen sind rein zufällig und/oder andeutungsweise beabsichtigt.

Leise, fast rhythmisch klackten die Stricknadeln aneinander. Lou bildete sich ein, dass es ihre Finger geschickter machte, die Maschen aufzuheben und fallen zu lassen.

„Dumme Finger hast du, Mädchen“, hatte die Mutter immer zu ihr gesagt, wenn Lou eine Tasse fallen ließ oder sich beim Öffnen der Tür einen Spieß einriss.

Dumme Finger! Wie konnten Finger denn dumm sein, hatte sich die kleine Lou gefragt. Hatten Finger ihren eigenen Verstand? Einen Fingerverstand, der viel, viel schneller war als das große, langsame Gehirn so weit oben im Kopf und der blitzschnell handelte, wenn Porzellan zu Boden fiel oder eine Tür ins Schloss krachte. Nur eben nicht bei Lou. Lous Fingerverstand war dumm. Dafür war ihr großes Gehirn weit oben im Kopf umso schlauer.

Lou senkte ihr Strickzeug mit einem Seufzer und blickte aus dem Fenster ihrer Wohnung. Draußen flanierte das Wiener Leben, und normalerweise hätte Lou nicht gezögert, sich dazu zu gesellen.

„Ein Treibauf bist du!“, hatte ihr Vater oft zu ihr gesagt, als sie ein Kind war. Heutzutage sagten ihre Liebhaber ihr Ähnliches.

„Lou, deine Lieblichkeit treibt meine Gedanken voran wie eine Peitsche“, hatte Sigmund gestern erst verkündet. Lou hatte die Augen verdreht und ihm gesagt, er solle aufhören, so zu tun, als wäre er Rilke. Das stand ihm nicht. Denn Rainer Maria war für die Dinge im Licht zuständig, Dinge, die man anfassen und beschreiben konnte. Und für das Unsagbare, das gehörte Rilke auch, all jenes, dem man sich mit Sprache nur annähern konnte. Sigmund, der war dafür da, Verdrängtes aus dem Schatten ans Licht zu zerren, und dafür brauchte es keine Poesie, fand Lou.

Sie stand von ihrem Platz am Fenster auf und legte das Strickzeug beiseite. Im Zimmer duftete es nach der Lavendelcreme, die sie sich gestern auf dem Markt gekauft hatte. Lou fuhr mit der Hand in den Topf, verteilte die glatte, kühle Masse zwischen ihren Fingern, schüttelte die Hände, damit die Creme schneller einzog. Kleine, zarte Hände. Viel zu zart für das Leben. Lou machte ein wegwerfendes Geräusch und setzte sich endlich an ihren Sekretär, der schon den ganzen Morgen auf sie wartete. Nach dem Stricken und der Creme waren ihre Hände ganz geschmeidig. Und das war nötig.

Heute würde Lou beginnen, ein Buch zu schreiben. Sie spannte das erste Blatt in die Schreibmaschine.