Meine Anfänge – „Der Dieb“

Meine Anfänge – „Der Dieb“

3. April 2022 0 Von Christine M. Brella

Mit 8 Jahren bekam ich „Fliegender Stern“ in die Hände und wurde mit diesem Indianerroman zur Leseratte. Mit 14 wurde mir klar, dass ich in der Bücherei immer nach einer bestimmten Geschichte suchte und nie fand. „Ob ich sie wohl selber schreiben kann?“, fragte ich mich und fing mit dem Schreiben an. Der Anfang – ein jugendlicher Dieb in einem Militärlager mitten im Amerikanischen Bürgerkrieg – nahm mich sofort gefangen und die ersten Worte flossen wie von selbst.

Aber irgendwann machte ich eine Pause und fing an zu grübeln: „Noch hunderte Seiten bis zum Ende? Kann man überhaupt soviel spannende Handlung aus dem Nichts erschaffen?“ Diese Aufgabe schien schier unbezwingbar und so hörte ich nach wenigen Seiten wieder auf. Doch die Geschichte ließ mich nie los, begleitete mich durch meine Schulzeit und mein Studium, war immer an meiner Seite bei meinem halben Jahr in den USA, bis ich mich viele Jahre später zu meinem ersten Schreibkurs anmeldete. Dort lernte ich, dass es Strukturen gibt, die die hunderte Seiten in kleinere, machbare Portionen aufteilen – und endlich: Mit 34 hielt ich meinen fertigen Roman „Die Brücken zur Freiheit – 1864“ in den Händen 😍

Was sich seit meinen Anfängen nicht geändert hat – wenn ich mal eine Szene geschrieben habe, will ich sie auch behalten. Klingt utopisch? In den meisten Fällen gelingt es mir. Selbst die aller erste Szene, die ich damals mit 14 für den Roman geschrieben habe, hat es ins Buch geschafft – zwar ist es dann doch nicht der Anfang geworden und neben den Namen hat sich auch die Perspektive geändert, aber Setting, Handlung und einige Textschnipsel konnte ich mit ein bisschen Feilen und Schleifen verwenden 😍 Urteilt selbst:

Der Dieb

Der Morgen war friedlich. Das frühe Konzert der Vögel war längst verklungen und dichter Nebel waberte zwischen den verstreut daliegenden Zelten. Unwirklich gingen die Konturen ineinander über und auch das dämmrig-feuchte Licht trug nicht dazu bei die Realität zu enthüllen, sondern verstärkte den märchenhaft anmutenden Eindruck noch. Nur manchmal schafften es schon erste Sonnenstrahlen vereinzelt durch die Nebelwand zu brechen und verrieten dem Wache gehendem Soldaten, dass es ein milder Frühlingstag werden würde. Fröstelnd schlenderte er durch das in komaartigem Schlaf liegende Lager.

Charly genoss diese frühen, einsamen Stunden, die er nur für sich hatte, auch wenn er selbst seine Augen kaum offen halten konnte. In der Nacht zuvor waren sie durchmarschiert und als das Regiment nach vierundzwanzig Stunden ohne Schlaf den Lagerplatz erreichte, hatten sich die Meisten nicht mehr die Mühe gemacht, ihr Zelt aufzuschlagen, sondern waren ohne Umstände sofort in ihre Schlafsäcke gekrochen. Bunt verstreut lagen die Männer und Jungen jetzt zwischen den wenigen, teils unfertigen Zelten und boten einen trügerisch idyllischen Anblick. Fast bedauerte es Charly diese Ruhe stören zu müssen, doch ein Blick auf die Nachtwachenuhr mahne ihn endlich mit dem Wecken zu beginnen. Er atmete noch einmal tief ein und genoss die Stille, dann griff er entschlossen zur Trompete.

Einige schief-krächzende Tonleitern, unzählige Flüche, Beschimpfungen und unsanfte Fußtritte später, erwacht das Lager langsam zum Leben. Bereits jetzt hörte man von Fluss her wildes Platschen und dröhnendes Gelächter. Die ersten Kochfeuer wurden entzündet, die ersten Zelte wurden schon abgebaut und im Lager herrschte das gewöhnliche Chaos aus scheinbar sinnlos durcheinander laufenden, lärmenden Menschen, das den baldigen Abmarsch ankündigte. Charly beschloss zu seinen eigenen Leuten zurückzukehren um zu sehen wie es um ein Frühstück stand.

Noch bevor er seinen Kumpel Buddy sah, hörte er sein wütendes Geschrei. „Kleine Ratte! Ich lass mir von nieman’ mein Frühstück klaun,– nich’ von so ner halben Portion, wie dir und nich’ von sonst wem!—halt still du Mistvieh!“ und so ging es weiter. Grinsend bemerkte Charly jetzt im Näherkommen, dass Buddy ein um sich schlagendes Bündel unter den Arm geklemmt hatte und mit der freien Hand versuchte sein Porige in Sicherheit zu bringen. Augenscheinlich hatte er dieses menschliche Etwas dabei erwischt, als es versucht hatte die Pfanne samt Inhalt zu klauen. Jetzt verteidigte er sie in sinnloser Wut, wie eine Wolfsmutter ihr Junges.

„Du dahergelaufener Zigeuner!“ schnaufte er. „Du Hühnerdieb!“

Der Bursche wand sich verzweifelt in der Umarmung. Die begründete Angst erdrückt zu werden verlieh ihm ungeahnte Kräfte.

„Ich werd’ dich lehren anderer Leute hart verdientes Essen wegzunehmen. — Zum Captain werd’ ich dich bringen. – Erschießen wird er dich lassen, du Dieb — Argh — Schlange!“ Buddy riss plötzlich die Hände weg und sein Gefangener war frei.

Charly beschloss, dass es Zeit war einzugreifen. Während Buddy verblüfft auf den schmerzenden und blutig-roten Kranz starrte, den die Zähne des Jungen auf seinem Handrücken hinterlassen hatten, setzte er dem Flüchtenden geistesgegenwärtig nach und hatte ihn in zwei Sätzen eingeholt. Er warf ihn zu Boden und setzte sich fluchend auf seinen Brustkorb, um ihm keine Möglichkeit mehr zu bieten auszubrechen. Zuerst wehrte sich der junge Bursche noch mit Händen und Füßen, doch gegen den kräftig gebauten Soldaten hatte er keine Chance. Ein paar Augenblicke später war alles vorbei. Er lag fest unter Charly eingeklemmt und konnte mit seinen wütenden Tritten nichts mehr ausrichten. Auch der Kleine musste das einsehen und nach einem letzten verzweifelten Aufbäumen kapitulierte er scheinbar, auch wenn die wilden Blicke, die er um sich warf, etwas ganz anders vermuten ließen.

„Da hast du mal ein hübsches Früchten gefangen!“ Charly blickte spöttisch über die Schulter zu seinem Freund, der sich argwöhnisch näherte, während er mürrisch vor sich hin grummelte.

Für dessen Geschmack hatte der Kleine schon genug Aufregung verursacht. „Also wie heißt du Bursche?“ wandte Buddy sich ohne Federlesen an den am Boden Liegenden.

„Alex“, lautete die trotzige Antwort.

„Ah, er kann reden! O.k. Alex reicht vorerst.“ Widerwillig musste er eingestehen, dass es ihn beeindruckte wie der Kleine immer noch mutig so tat, als hätte er alles im Griff, während er hilflos in einer äußerst unbequemen Lage unter Charly begraben lag. Langsam dämmerte ihm auch die Komik bei der ganzen Sache. Da ließen sich zwei erwachsene, kampferprobte Konföderierte von so einem dahergelaufenen, halb verhungertem Kind an der Nase herum führen. Man sollte es nicht für möglich halten. Das Bürschchen war noch nicht einmal im Stimmbruch! Unwillkürlich musste er grinsen, immerhin war sein Frühstück gerettet. Wieder etwas besser gelaunt wandte er sich abermals an den Gefangenen: „Hat es dir wenigstens geschmeckt?“

Alex murmelte nur düster etwas Unverständliches und Buddy beobachtete wie er angestrengt auf die Baumspitzen starrte, die mittlerweile aus dem Nebel ragten, eifrig darauf bedacht niemandem in die Augen zu sehen. „Und warum bist du nicht schön brav daheim bei deiner Mummy, Alex?“ Fragte er im Plauderton weiter.

„Die ist tot.“ Jetzt sah er doch hoch und verblüffte die beiden Kameraden mit zwei leuchtenden braunen Augen. Sie verrieten Intelligenz und höchste Aufmerksamkeit und funkelten sie herausfordernd an. Ratlos starrten die beiden auf den Jungen. Was sollten sie bloß mit dem Kleinen anfangen?

„Hast du denn sonst keine Familie?“ Charly übernahm wieder die Befragung.

„Doch.“

„Aber was willst du dann hier mitten in der Wildnis? Wir haben Krieg, wie du vielleicht schon gemerkt hast. Da läuft man nicht so einfach mir nichts dir nichts in der Gegend herum!“

„Wie bist du denn hierher gekommen?“, warf Buddy ein und versuchte es auf einem neuen Weg.

„Mit einem Pferd.“

„Und wo ist dein Pferd?“

„Weg.“

So kamen sie auch nicht weiter. „Wo kommst du denn eigentlich her?“

„Texas.“

Die Männer schwiegen überrumpelt. Auch sie waren in Texas zu Hause. Buddy hatte dort sogar Familie, aber Texas lag einige tausend Meilen entfernt.

„Wie alt bist du denn?“, fragte Charly neugierig.

Der Junge starrte ihm direkt in die Augen und antwortete dann ohne zu blinzeln. „Achtzehn.“

Die Männer sahen sich an und brachen dann in dröhnendes Lachen aus.

„Na wenigstens verstehst er Spaß.“

„Zu helfen weis er sich jedenfalls.“ Bedeutungsvoll starrte Charly auf die Hand seines Kameraden, der jedoch nur zurück grinste.

„Ich bin ja nicht blöd!“, entfuhr es dem Gefangenen, aber er erntete nur eine erneute Lachsalve.

„Und frech wird er auch noch!“, prustete Buddy, während er sich die Lachtränen aus den Augen wischte. „Jetzt hör mal her Kleiner.“ Plötzlich wurde er wieder ganz erst. „Keiner will dir hier was Böses. Da hast du dich schon selber reingeritten. Vielleicht gibt’s ja einen guten Grund hier rumzustrolchen? Dann geht das Ganze sicher unblutig aus für dich!“

Charly fügte hinzu: „Wir bringen dich jetzt zum Captain. Dem erklärst du dann alles. Für dich ist es am einfachsten, wenn du versprichst, nicht wegzulaufen, aber notfalls kann ich dich auch tragen. Such es dir aus.“

Aufmerksam hatte der Junge zugehört, obwohl seine Miene deutlich zeigte, dass er dem Angebot gegenüber eher skeptisch war. Schließlich erkannte er allerdings, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als dem Vorschlag zuzustimmen.